"Wichtiger als die konkrete therapeutische Anwendung psychoanalytischer Methoden sind wahrscheinlich die Überlegungen, die von der psychoanalytischen Lehre zur Verfügung gestellt werden. In ihrem Bestreben, ein fundamentales Verständnis der psychischen Prozesse in der Sucht zu vermitteln, sind sie in ihrem Erkenntniswert auch für andere therapeutische Interventionen und therapeutische Zielvorstellungen vonnutzen. Die Erkenntnisse der Psychoanalyse lassen z.B. die Forderung von totaler Konsumabstinenz als höchstem Therapieziel ebenso fragwürdig erscheinen wie die lerntheoretisch begründete Suche nach einfachen Lösungen im Sinne der Verschiebung der Konfliktlösung auf oberflächliche soziale Kompetenzfelder ..."
Der psychoanalytische Zugang zur Suchtproblematik unterscheidet sich für Springer dadurch von anderen psychologischen und medizinischen Konzeptualisierungen und Theorieen, "dass den Drogen und dem Drogenverlangen ebenso wie ´stoffungebundenen´ Suchtphänomenen eine ambivalente Funktion zuerkannt wird. Im Theoriegebäude der Psychoanalyse wird angenommen, dass süchtiges Verhalten ein Entwicklungsdefizit signalisiert, das der frühen Ich-Entwicklung entspringt und einen zugrundeliegenden innerseelischen Konflikt entweder repräsentiert, symbolisiert oder als Symptom agierend zum Ausdruck bringt."
Dem süchtigen Verhalten selbst "wird anfänglich der Wert eines psychopharmakologischen Anpassungsprozesses zuerkannt. Drogengebrauch und -abhängigkeit erleichtern nach diesem Verständnis den Umgang mit innerseelischen Problemen. Drogengebrauch kann für das seelische Gleichgewicht sogar zentralen Stellenwert haben. In diesem Verständnis stellt er eine Art ´Selbstheilungsversuch´ dar - einen Versuch, seelische Balance zu finden. Er dient der Abwehr schlimmerer Zustände, wie etwa psychotischer Zusammenbrüche." Er dient häufig auch dazu, Auswirkungen früherer Traumatisierungen zu beschwichtigen und "Lücken in der Ichstruktur" zu füllen ..."
rausch 4-2013: Themenschwerpunkt "Psychotherapie und Sucht"
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