"Zahlreiche neurowissenschaftliche Studien belegen zugrundeliegende Mechanismen wie Intensivierung der Neuroplastizität, Aktivierung dynamischer Netzwerkkonnektivität, Stimulation des dopaminergen Reward-Systems und Erregung des Default Mode Networks, das eng mit kreativen Prozessen verwoben ist. Komplementär zur Abschätzung von Effektstärken und der Erforschung künstlerisch-therapeutischer Wirkmechanismen stehen für die Praxis elaborierte Modelle für geriatrische Singtherapie, gerontologische musikalische Rhythmik oder parkinsonspezifische Tanz-Rhythmus-Therapie zur Verfügung..."
Dennoch sehen sich "künstlerische Therapien mit einem fundamentalen wahrheitstheoretischen Konflikt konfrontiert. Einerseits gibt es seit Jahrzehnten Tendenzen, Forschung zu künstlerischen Therapien den Vorgaben evidenzbasierter Medizin unterzuordnen, andererseits steht die Evidenz künstlerisch-therapeutischen Nutzens im klinischen und allgemein gesundheitsfördernden Bereich in krassem Widerspruch zu Cochrane-Aussagen, die von geringer oder nicht signifikanter Evidenz ebenso sprechen wie von niedriger Forschungsqualität. Damit werden zwei grundlegende Fragen aufgeworfen. Die eine bezieht sich auf das erkenntnistheoretische Problem methodologischer Voreingenommenheit und im Hinblick auf den Forschungsgegenstand inadäquater Forschungsdesigns in Cochrane-Domänen; die andere betrifft das Problem des Ausmaßes von Verallgemeinerbarkeit therapeutischer Interventionen, wo wir z.B. zwischen standardisierter Chemotherapie in der Onkologie und personenzentrierten künstlerischen Therapien in der Palliativmedizin massive Unterschiede ausmachen ..."
Dem Cochrane-Urteil liegt ein verengtes, kurzsichtiges Wissenschaftsverständnis zugrunde. "Aus wissenschaftstheoretischer und korrespondenz-wahrheitstheoretischer Perspektive sollten wir uns immer vor Augen halten, dass jede Sicht, sei sie wissenschaftlich oder subjektiv, nur ein BILD der Wirklichkeit darstellt und die Sichtweise massiv in die Erkenntnis generierende Darstellung selbst eingeht."
Mastnak konkretisiert: "Auf der einen Seite finden wir randomisierte Kontrollgruppenstudien, bei denen die musiktherapeutische Intervention darin besteht, dass im Hinblick auf Diagnose und Symptomatik eine relativ homogene Patientengruppe selbst gewählte, subjektiv präferierte Musik hört, während die Kontrollgruppe dies nicht tut. Therapieeffekte sind erkennbar, aber nicht signifikant, was dann in dieser Diktion auch in Cochrane Reviews eingeht. Hingegen haben wir auf der anderen Seite genau auf Patienten individuell abgestimmte künstlerisch-therapeutische Dynamiken, die sich in ihrer individuellen Einmaligkeit nicht - bzw. nicht unmittelbar generalisieren lassen. Therapeutische Effekte sind hier zwar oft immens hoch, bleiben innerhalb der konventionellen evidenzbasierten Medizin jedoch unberücksichtigt ..."
Wolfgang Mastnak: Künstlerische Therapien im Alter.
In: Musik-, Tanz- & Kunsttherapie 1/2025
Print: ISSN 0933-6885 PDF: ISSN 0933-6885
https://www.psychologie-aktuell.com/journale/mtk/bisher-erschienen/inhalt-lesen/2025-1-2.html














