Die MigrantInnen in den teilnehmenden Kliniken stammen überwiegend aus dem Nahen oder Mittleren Orient incl. Afghanistan. PatientInnen aus Subsahara-Afrika und Osteuropa bilden Minderheiten. Einerseits wird häufig gedolmetscht. Anderseits geben fast alle Kliniken an, die sprachliche Ausdrucksfähigkeit ihrer MigrantInnen gezielt zu fördern - in erster Linie durch intramuralen Sprachunterricht, gefolgt von allgemeinbildendem Unterricht auf Deutsch, durch Konversations- und Lektüregruppen, extramurale Sprachangebote sowie allgemeinbildende Angebote. "Das Fördern der Integration auf Station, der Sprachkompetenz im Alltag und die Herstellung von Therapiefähigkeit werden am häufigsten als Motive angegeben.
Zwei Kliniken förderten jedoch gezielt die Sprachkompetenz in der Muttersprache ihrer Patienten, vornehmlich durch Freizeitangebote in Kulturvereinen, Angebote zum Konsum fremdsprachiger Medien und spezifische Veranstaltungen auf der Station (z.B. Kochen und Essen in Gruppen, die die gleiche Heimatsprache sprechen). Motive: Schaffung kultureller Identität, Aufbau von Selbstbewusstsein, Schaffung eines ´Sprachbewusstseins´ sowie die Hoffnung, dass die Untergebrachten über eine gezielte Förderung ihrer Mutter- bzw. Erstsprache korrigierende Erfahrungen zu der möglicherweise erlebten Diskriminierung und Benachteiligung machen können."
Bulla und Ross sehen, dass in großem Ausmaß wirksame Therapie mangels guter Deutsch-Kenntnisse kaum möglich ist. "Bis auf weiteres wird es notwendig sein, für diese Patientengruppe alle personellen Ressourcen zu aktivieren, die auf professioneller Ebene kommunizieren können, und dabei ggfs. auch die eigenen Denkstrukturen infrage zu stellen. Weshalb sollte es nicht möglich bzw. statthaft sein, forensische Psychotherapie vollumfänglich in Fremdsprachen anzubieten, wenn man hierfür geeignete Personen hat? Denn bei allem Engagement in der Sache und bei aller trans- und interkultureller Kompetenz, die es bei den Behandelnden zu entwickeln gilt, sollte man auch realistisch bleiben: Selbst unter Verwendung erheblicher Mittel für eine Sprachförderung werden viele Betroffene sehr lange brauchen, bis sie ein Sprachniveau erreicht haben, das ihnen für die Therapie und später für ein Leben in der Gesellschaft zuträglich sein wird. Einige werden es auch nie erreichen. Mehr einschlägige Angebote in Fremdsprachen könnten ein Weg sein, dieser Problematik zielführend zu begegnen."
Reichliche Erfahrungen in der forensischen Therapie mit MigrantInnen hat das zuständige interdisziplinäre Team im Klinikum München-Ost gesammelt, kritisch reflektiert und in einem Reader zusammengefasst: "Forensische Psychiatrie als Randkultur". Die Beiträge verdeutlichen, wie Europa-typische Gepflogenheiten, Gesten und Mimik bei muslimischen Patienten Irritationen oder Konflikte auslösen können; daraus resultieren konkrete Warnungen und Empfehlungen - mit einer begründet optimistischen Perspektive unter dem Label "Resozialisierung durch Kultur".
Jan Bulla, Thomas Ross: Deutsch als Zweitsprache im Maßregelvollzug
zwischen Restriktion, Fördern und Fordern.
In: Forensische Psychiatrie und Psychotherapie 3/2023
Herbert Steinböck (Hrsg.) Forensische Psychiatrie als Randkultur -
zwischen interkultureller Spannung und multikultureller Integration.
Pabst, 144 Seiten, Paperback ISBN 978-3-89967-747-8