Dr. Marc Lehmann (51), Leitender Medizinaldirektor in Berlin, wies darauf hin, dass etwa 45% der Häftlinge ein Suchtproblem haben und bis zu 95% Prozent unter seelischen Störungen leiden. Für Häftlinge kann das Gefängnis ein - wenn auch problematischer - "Glücksfall" sein. Häufig werden bereits während der Aufnahmeuntersuchung Krankheiten entdeckt, die den Patienten nicht bekannt waren; oder die Betroffenen hatten mangels Krankenversicherung keine Behandlungsmöglichkeit. Vor allem Neu-Inhaftierte mit Suchtproblemen kommen in oft schlechtem gesundheitlichen Zustand in Haft. "In Einzelfällen kann der Gefängnisaufenthalt gar lebenserhaltend oder lebensverlängernd wirken.
 
Die i.v.-Drogenabhängigkeit und ungeschützte Sexualkontakte sind die Hauptgründe für einen hohen Grad an blutübertragbaren Infektionskrankheiten von Inhaftierten. Zumeist vor der Haft zum Teil aber auch in Haft erworben: Die Hepatitis-C-Infektion ist hinter Mauern etwa 30 mal häufiger als in der Normalbevölkerung, HIV etwa 20 mal häufiger.
 
Marcus Behrens (46), Diplompsychologe in Berlin, erinnerte daran, dass 94% der Häftlinge Männer sind, von verschiedenen sexuellen Orientierungen bestimmt werden und aus den unterschiedlichsten kulturellen Zusammenhängen stammen. Die Gesundheitsversorgung ist daher komplex und kann nur von Spezialisten verschiedener Disziplinen geleistet werden. Behrens forderte, der Vollzug solle "sich der Kooperation mit Vereinen und Initiativen der Zivilgesellschaft öffnen". Dies ist auch eine Frage der Positionierung des Vollzugs als Ganzes, der als demokratisch legitimiertes System nicht am gesellschaftlichen Rand stehen darf. Die Idee, Menschen resozialisieren zu wollen, bedarf eben auch einer Gesellschaft, die hier unterstützt."    
 
Diplompsychologin Heike Drees (54), Spezialistin für Suchthilfe in Berlin, belegte, dass die Kontinuität der Gesundheitsversorgung auch nach der Haft wesentlich zur Resozialisierung beiträgt. Doch mit der Entlassung bricht die Kette häufig ab. Drees zitiert den Strafrechtler Prof. Dr. Bernd Mälicke: "Es gibt weder gesetzlich, noch konzeptionell, noch organisatorisch, noch personell, noch finanziell in Deutschland ein abgestimmtes Gesamtkonzept der Resozialisierung jugendlicher oder erwachsener Straftäter." Hier liegt ein "organisierter Beziehungsabbruch als Systemfehler der Resozialisierung" vor.


Die vollständige Pressemappe:
Pressemappe

Einzelne Inhalte der Pressemappe:
Gesundheit und Haft: Medizinische, therapeutische und sozialarbeiterische Anforderungen in Gefängnissen nehmen zu
Gesundheit in Haft, Faktor Medizin, Blick hinter die Gitter
Europaweit wächst die Zahl psychisch Kranker im Strafvollzug und im Maßregelvollzug. Die Behandlungskapazitäten müssen gestärkt und ausgebaut werden
Für viele Häftlinge ist das Gefängnis ein zwiespältiger "Glücksfall": Haft bedeutet teils extremen Stress, erstmals kann aber medizinisch optimal versorgt werden
Substitutionsbehandlung für inhaftierte Drogenabhängige kann ein Weg aus der Krise sein
Prävention im Strafvollzug: Ein Feld mit Potenzial zur Verhinderung von Infektionskrankheiten
Strafvollzug ist männlich...
Für die Resozialisierung von Straftätern fehlt ein abgestimmtes Gesamtkonzept
Bibliographie

Gesundheit und Haft
Handbuch für Justiz, Medizin, Psychologie und Sozialarbeit
Lehmann, Marc; Behrens, Marcus; Drees, Heike (Hrsg.)