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Forensische Psychiatrie: Die meisten Sexualdelikte hinter Gittern werden von Frauen begangen

04.05.2021 Sexuelle und sexualisierte Gewalt hinter Gittern: Ein großer Teil der Straftäterinnen wurde bereits in der Kindheit und Jugend psychisch, körperlich, sexuell missbraucht. Im Straf- und Maßregelvollzug werden sie häufig erneut Opfer - oder auch Täterin. Die Delikte werden kaum untersucht, strafrechtlich verfolgt oder therapeutisch bearbeitet, kritisiert der forensische Psychiater Dr. Thomas Barth (Berlin). Er beschreibt die Situation in seinem Beitrag zum "Frauenforensischen Praxisreader: Lilith im Maßregelvollzug".

Repräsentative Zahlen fehlen bisher; doch anhand von Studien lassen sich sexualisierte und/oder sexuelle Übergriffe in ihrer Häufigkeit einschätzen: "Führend sind Vorfälle zwischen inhaftierten Frauen - innerhalb des bundesdeutschen Strafvollzugs die Hälfte aller Vorfälle -, gefolgt von der Viktimisierung inhaftierter Männer durch weibliches Personal. Erst an dritter Stelle finden sich sexualisierte und/oder sexuelle Übergriffe männlichen Personals gegenüber inhaftierten Frauen. Hinsichtlich relativer Häufigkeiten fast gleichauf folgen Übergriffe zwischen Männern, die in der öffentlichen Wahrnehmung allerdings prominent und überrepräsentiert dargestellt werden."

 

Die Motivstrukturen der Täterinnen sind unterschiedlich. In erster Linie diskutiert Barth ein psychoanalytisches Modell: Die missbrauchte Frau ist als Opfer beschämt und von dem Wunsch getrieben, in die Täterrolle aufzusteigen. "Die internalisierte Erfahrung unerträglichen Schamerlebens aufgrund der erfahrenen Viktimisierung eröffnet intrapsychisch  den Übergang von der Opfer- in die Täterrolle. Dadurch kann die mit Passivität assoziierte eigene Scham durch viktimisierendes Verhalten gegenüber anderen Personen in aktive Schuld transformiert und als ein Versuch verstanden werden, so wieder Kontrolle über die eigenen Gefühle zu erhalten."

 

Dr. Franziska Lamott weitet in ihrem Beitrag "Liliths Welt" die Perspektive zusätzlich: "Weibliche Delinquenz - anders als jene von Männern - findet überwiegend im Nahbereich von Beziehungen statt. Diese emotional dichten Orte von Intimität und Liebeswünschen, deren Scheitern in Gewalt umschlagen kann, treiben Verzweiflung und Wut angesichts der Hoffnungslosigkeit hervor. All das reaktiviert früh erfahrene Traumatisierungen der Ursprungsfamilie, die zum wiederholten Male in gewalttätige Dekompensation münden. Eine genderresponsible Behandlung und Prognose setzt die Anerkennung dieser spezifischen Belastungssituationen in weiblichen Lebensentwürfen voraus..."

 

Ulrich Kobbe (Hrsg.) Lilith im Maßregelvollzug - Ein frauenforensischer Praxisreader.
Pabst, 912 Seiten. Hardcover ISBN 978-3-95853-445-2, eBook ISBN 978-3-95853-445-2

 

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