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Psychosoziale und Medizinische Rehabilitation

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2023-1 (121)

Inhaltsverzeichnis

 

Soziale Milieus und psychische Erkrankungen – Eine Einführung
Andreas Hillert & Volker Köllner


Soziale Modelle und soziale Gruppen: Medizinische und therapeutische Aspekte aus sozialwissenschaftlicher Perspektive
Janusz Surzykiewicz , Linda Bürkle, Veronika Escherich & Andreas Hillert


Sinus-Milieus® und Gesundheit: Konzepte, Befunde, Perspektiven
Heide Möller-Slawinski


Der Einfluss des sozialen Milieus auf das sozialmedizinische Outcome und die Reha-Zufriedenheit nach Psychosomatischer Rehabilitation
Henrika Kleineberg-Massuthe, Lilia Papst, Markus Bassler & Volker Köllner


Sinus-Milieus psychosomatischer Patientinnen und Patienten
Ulrich Stattrop, Stefan Koch, Heide Möller-Slawinski & Andreas Hillert


Sinus-Milieus von PatientInnen in der akut-stationären psychiatrischen Behandlung – im Abgleich mit den Sinus-Milieus der Therapeuten
Ulrich Sprick & Martin Köhne


Fragebögen funktionieren wie Blutdruckmessgeräte?
Zur Interaktion sozialer (Sinus-)Milieus, Depressions-Scores und subjektiver Störungsmodelle

Andreas Hillert, Ulrich Stattrop, Adrian Meule & Heide Möller-Slawinski


Burnout- und Belastungserleben chinesischer und deutscher Schülerinnen und Schüler im Vergleich: soziokulturelle Muster und psychische Gesundheit
Sophia Hillert, Andreas Hillert, Yijing Zhou & Wolfgang Mastnak


Wie verstehen Menschen Inhalte eines Weisheitsfragebogens?
Eine qualitative Untersuchung mit der 12-WD-Skala

Anne Meier-Credner & Beate Muschalla

 


 


Soziale Milieus und psychische Erkrankungen – Eine Einführung
Andreas Hillert & Volker Köllner


Zusammenfassung
Welchen Einfluss hat die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe bzw. einem sozialen Milieu auf die psychische Gesundheit? Die bislang vorliegenden empirischen Untersuchungen zu dieser Frage widmen sich vorzugsweise Menschen aus prekären Verhältnissen. Letztere erwiesen sich in zahlreichen Studien als ein Risikofaktor für praktisch alle gesundheitlichen Aspekte. Sozialwissenschaftliche Arbeiten zum Thema haben in der Regel einen ähnlichen, auf sozial Benachteiligte verweisenden Fokus. Durch die Sinus-Milieus, die ausgehend von repräsentativen Erhebungen ein empirisch fundiertes, differenziertes und zudem wiederholt aktualisiertes Modell der Gesellschaft als Grundlage haben, wird es erstmals möglich, soziale Milieus jenseits prekärer Gruppen als solche zu definieren. Anhand eines Fragebogens können Einzelpersonen sozialen Milieus zugeordnet werden. Nach einführenden Beiträgen, die sich mit der sozialwissenschaftlichen Sicht auf Gesellschaft und Gesundheit sowie mit den konzeptuellen Grundlagen der Sinus-Milieus und diesbezüglich vorliegenden gesundheitsbezogenen Daten beschäftigen, werden empirische Erhebungen vorgestellt. Ausgehend von der Frage, inwieweit die jeweilige Klientel ein „Abbild der Bevölkerung“ ist, werden die Sinus-Milieus von Patienten einer psychiatrischen Akutklinik, von psychosomatischen Rehabilitationskliniken und einer großen psychosomatischen Fachklinik vorgestellt und diskutiert. Dabei zeigt sich, dass in allen Institutionen Patienten aus dem Sozialökologischen Milieu überrepräsentiert sind. Ergänzend wird eine deutsche und chinesische Jugendliche bezüglich u.a. ihres Belastungserlebens verglichen, wobei wichtige, Belastungserleben determinierende Aspekte deutlich werden. Ergänzend zeigt eine Studie zur Weisheitstherapie, wie heterogen in der Gesellschaft diesbezügliche Vorstellungen sind. Ausgehend von der Idee einer personalisierten Medizin bieten sich die Sinus-Milieus als praktikables Instrument an, um umschriebenen Gruppen gemeinsame, in hohem Maße gesundheitsrelevante Muster aufzuzeigen. Deren Berücksichtigung in Therapie und Rehabilitation ist zumal mit Blick auf eine Verbesserung der Behandlungsergebnisse relevant.

Schlüsselwörter: Soziale Milieus, psychische Gesundheit, Sinus-Milieus, Psychiatrie, Psychosomatik, psychosomatische Rehabilitation

 

Social Milieus and Mental Illness – An Introduction


Abstract
What influence does belonging to a certain social group or social milieu have on mental health? The empirical studies available to date on this question are primarily devoted to people from precarious backgrounds. The latter have been shown in numerous studies to be a risk factor for practically all aspects of health. Social science works on the subject usually have a similar focus, referring to the socially disadvantaged. Sinus milieus, based on representative surveys and repeatedly updated are a model of the society. They make it possible for the first time to define social milieus beyond precarious groups as such. Using a questionnaire, individuals can be assigned to social milieus. After introductory contributions that deal with the social scientific view of society and health as well as with the conceptual foundations of the Sinus milieu and the health-related data available in this regard, empirical surveys are presented. Based on the question to what extent the respective clientele is a "representation of the population", the Sinus milieus of patients in a psychiatric acute clinic, in psychosomatic rehabilitation clinics and in a large psychosomatic specialist clinic are presented and discussed. It turns out that patients from the social-ecological milieu are overrepresented in all institutions. In addition, a German and a Chinese adolescent are compared with regard to their experience of stress, among other things, whereby important aspects that determine the experience of stress become clear. In addition, a study on wisdom therapy shows how heterogeneous the relevant ideas are in society. Based on the idea of personalized medicine, the Sinus milieus are a practicable tool for showing defined groups common patterns that are highly relevant to health. Taking them into account in therapy and rehabilitation is particularly relevant with a view to improving treatment outcomes.

Key words: Social milieus, mental health, Sinus milieus, psychiatry, psychosomatics, psychosomatic rehabilitation


Korrespondierender Autor:
Prof. Dr. phil. Dr. med. Andreas Hillert
Chefarzt Psychosomatik, Psychiatrie und Psychotherapie
Schön Klinik Roseneck
Am Roseneck 6
83209 Prien am Chiemsee
ahillert@schoen-klinik.de


 


Soziale Modelle und soziale Gruppen: Medizinische und therapeutische Aspekte aus sozialwissenschaftlicher Perspektive
Janusz Surzykiewicz, Linda Bürkle, Veronika Escherich & Andreas Hillert


Zusammenfassung
In den Sozialwissenschaften entwickelte Modelle der Gesellschaft gingen und gehen von der finanziellen Situation sowie zumeist von politisch-ideologischen Parametern aus. Das Gesundheitsverhalten, gesundheitsbezogene Vorstellungen und reale gesundheitliche Aspekte spielten dabei zunächst einmal keine relevante Rolle. Unabhängig davon wurde seit Beginn des 20 Jahrhunderts zunehmend deutlich, dass soziale Aspekte erheblichen Einfluss auf gesundheitliche Belange haben, wobei in aller Regel unter prekären Verhältnissen lebende Menschen mit solchen aus nicht näher spezifizierten „besseren“ Verhältnissen verglichen wurden. Ausgehend von solchen Befunden konnte sich Public-Health konzeptuell-wissenschaftlich und praktisch etablieren. Parallel dazu differenzierten sich die Vorstellungen und Konzepte von Gesundheit, wobei heute zwischen biomedizinischen und sozialwissenschaftlichen Perspektiven Konsens dahingehend besteht: „Gesundheit ist mehr ist als die Abwesenheit von Krankheit“. Entsprechend breit wie das Spektrum der sich ausgehend davon auftuenden Interpretationsspielräume sind die Vorstellungen von dem, was eine angemessene bzw. „ganzheitliche“ Gesundheitsversorgung ausmachen soll. Angesichts der in der Forschung aktuell verwendeten, allesamt randunscharfen Begriffe (Lebensqualität, Wohlbefinden, Glück etc.) relativieren sich viele der damit erhobenen Befunde. Vor diesem Hintergrund gewinnen die empirisch-fundierten Sinus-Milieus als Grundlage weitergehender Untersuchungen zur Frage der Interaktion umschriebener soziokultureller Muster mit gesundheitlichen Aspekten besondere Bedeutung.

Schlüsselwörter: Milieu, Soziale Gruppen, Gesundheit, Wohlbefinden, Lebensqualität

 

Social models and social groups: Medical and therapeutic aspects from a social science perspective


Abstract
Models of society developed in the social sciences were and are based on the financial situation and mostly on political and ideological parameters. Health behavior, health-related ideas and real health aspects initially played no relevant role. Irrespective of this, it has become increasingly clear since the beginning of the 20th century that social aspects have a considerable influence on health aspects, with people living under precarious circumstances being compared with those from unspecified “better” circumstances. Based on such findings, public health was able to establish itself conceptually, scientifically and practically. At the same time, the ideas and concepts of health were differentiated, whereby today, based on initially divergent biomedical and social scientific perspectives, there is probably a consensus in the meantime: Health is more than the absence of illness". The ideas of what constitutes appropriate or “holistic” health care are just as complex as the range of interpretations that arise from this. In view of the fuzzy terms currently used in research (quality of life, well-being, happiness, etc.), many of the findings obtained are put into perspective with health aspects of particular importance.

Key words: Milieu, social groups, health, well-being, quality of life


Korrespondierender Autor:
Prof. Dr. phil. habil. Dr. theol. Janusz Surzykiewicz
Lehrstuhls für Sozial- und Gesundheitspädagogik
Prodekan der Philosophisch-Pädagogischen Fakultät
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Luitpoldstraße 32
85071 Eichstätt
janusz.surzykiewicz@ku.de


 


Sinus-Milieus® und Gesundheit: Konzepte, Befunde, Perspektiven
Heide Möller-Slawinski


Zusammenfassung
Die Sinus-Milieus® stellen ein im Wechselschritt zwischen Theorie und Empirie entwickeltes Gesellschaftsmodell dar, das kontinuierlich an die sozio-kulturellen Veränderungen der Gesellschaft angepasst wird. Erkenntnisse aus der empirischen Forschung fließen dabei permanent in die Justierung des Modells ein. Die Sinus-Milieus® bilden „Gruppen Gleichgesinnter“, d.h. Menschen, die sich in ihrer Lebensauffassung und Lebensweise ähneln, und sind Abbild des gesamten Spektrums der Gesellschaft. Es können mit ihnen in allen Lebensbereichen die relevanten Einstellungen, Motive und Verhaltensweisen erhoben und beschrieben werden bei forschungsökonomischer Handhabbarkeit der Befragung. Auch im Gesundheitsbereich hat das SINUS-Institut bereits in zahlreichen Forschungsprojekten exploriert, wie sich zu mannigfaltigen Fragestellungen Bedeutungsgehalte und Einflussfaktoren, Wahrnehmungsfacetten, -nuancierungen und -variationen sowie Ansprüche, Motive und Bewertungen in den unterschiedlichen sozialen Milieus manifestieren und was die kommunikativen Bedürfnisse sowie die relevanten Ansprache-Strategien sind. Im Bereich der psychotherapeutischen Medizin ist der Einfluss unterschiedlicher Lebenswelten auf den Verlauf und den Behandlungserfolg bislang aber noch kaum beleuchtet worden. Erfolgreiche Planung und Kommunikation setzen jedoch eine umfassende und zugleich differenzierte Zuwendung zu den Menschen voraus und machen es nötig, Zielgruppen über die herkömmlichen soziodemografischen Merkmale hinaus präziser zu klassifizieren und ihre spezifischen Wahrnehmungs- und Verständnishorizonte einzubeziehen. Hier liegt in Zukunft noch breites Potenzial, Brücken und Barrieren im Zugang zu Zielgruppen und deren Kommunikationspräferenzen und -bedürfnissen zu identifizieren, mögliche systematische Zusammenhänge zwischen Lebenswelt/Zugehörigkeit zu einem Sinus-Milieu® einerseits und verschiedenen Faktoren des Behandlungserfolgs andererseits zu erkennen und relevanten Akteur*innen Handlungsoptionen und Ansprache-Strategien zu eröffnen.

Schlüsselwörter: Sinus-Milieus®, Lebenswelt, Gesellschaftsmodell, Gesundheitseinstellungen, Gesundheitskommunikation

 

Sinus-Milieus® and Health: Concepts, Findings, Perspectives


Abstract
The Sinus-Milieus® represent a model of society developed in alternating steps between theory and empirical research, which is continuously adapted to socio-cultural changes in society. Findings from empirical research are constantly incorporated into the adjustment of the model. The Sinus-Milieus® form "groups of like-minded people", i.e. people who are similar in their outlook on life and way of life. They reflect the entire spectrum of society. Relevant attitudes, motives and behaviors can be surveyed and described in all areas of life while keeping the survey manageable in terms of research economics. In the field of health, the SINUS Institute has already explored in numerous research projects how meaning and influencing factors, perception facets, nuances and variations as well as demands, motives and evaluations manifest themselves in the different social milieus and what their communicative needs and the relevant addressing strategies are. In the field of psychotherapeutic medicine, however, the influence of different lifeworlds on the course and success of treatment has so far hardly been illuminated. Successful planning and communication, though, require a comprehensive and at the same time differentiated approach to people and make it necessary to classify target groups more precisely beyond the conventional sociodemographic characteristics and to include their specific horizons of perception and understanding. In the future, there is still great potential here to identify bridges and barriers in access to target groups as well as to their communication preferences and needs, to recognize possible systematic connections between lifeworld/belonging to a Sinus-Milieu® on the one hand and various factors of successful treatment on the other, and to open up options for action and addressing strategies for relevant actors.

Key words: Sinus-Milieus®, lifeworld, model of society, health attitudes, health communication


Korrespondierende Autorin:
Heide Möller-Slawinski
Studienleitung
Senior Research & Consulting SINUS-Institut
Heidelberg
heide.moeller-slawinski@sinus-institut.de


 


Der Einfluss des sozialen Milieus auf das sozialmedizinische Outcome und die Reha-Zufriedenheit nach Psychosomatischer Rehabilitation
Henrika Kleineberg-Massuthe, Lilia Papst, Markus Bassler & Volker Köllner


Zusammenfassung
Das sozialmedizinische Outcome und die Reha-Zufriedenheit nach Psychosomatischer Rehabilitation unterscheiden sich zwischen verschiedenen Patient*innen. Diese Unterschiede wurden bisher nur wenig und vorrangig anhand soziodemografischer und -ökonomischer, krankheitsbezogener und rehabilitationsspezifischer Merkmale untersucht. Unter Anwendung eines Milieu-Modelles werden durch unsere Studie erstmals auch soziokulturelle Einflussfaktoren einbezogen, um zu prüfen, ob in der Rehabilitation die spezifischen Bedürfnisse und Lebensrealitäten der Patient*innen ausreichend berücksichtigt werden. In zwei psychosomatischen Reha-Zentren (Seehof und Oberharz, je N = 1000) wurde zu Rehabilitationsbeginn (T0) der Sinus-Milieuindikator Deutschland 10/2018 (standardisierter Fragebogen) zur Bestimmung
der sozialen Milieus der Patient*innen erhoben. Nach absolvierter Rehabilitation (T1) wurden die ärztliche Dokumentation zum zeitlichen Umfang des Leistungsvermögens (≥6h, ≥3h bis <6h, <3h) für die letzte sozialversicherungspflichtige Tätigkeit (N = 1987) und für den allgemeinen Arbeitsmarkt (N = 1988) sowie insgesamt 30 Items der klinikspezifischen Entlassungsfragebögen zu verschiedenen Aspekten der Reha-Zufriedenheit herangezogen. Die statistischen Auswertungen erfolgten mittels Chi-Quadrat-Tests für Unabhängigkeit bzw. einfaktorieller Varianzanalysen und Post-hoc-Tests. Es bestanden signifikante Zusammenhänge zwischen dem Milieu und dem zeitlichen Umfang des Leistungsvermögens für a) die letzte sozialversicherungspflichtige Tätigkeit, χ2(18) = 70.45, p < .001, Cramérs V = .13 (kleiner Effekt), sowie b) den allgemeinen Arbeitsmarkt, χ2(18) = 63.89, p < .001, Cramérs V = .13 (kleiner Effekt). Ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden wiesen Patient*innen aus dem Konservativetablierten Milieu (a, b), dem Liberal-intellektuellen Milieu (a) und dem Milieu der Performer (a) signifikant seltener und jene aus dem Prekären Milieu (a, b), dem Traditionellen Milieu (a, b) und der Bürgerlichen Mitte (b) signifikant häufiger als erwartet auf. Hinsichtlich der Zufriedenheit zeigten sich für 13 Fragebogen-Items signifikante Unterschiede (p < .001 bis p = .004) kleiner bis mittlerer Effektstärke (η² = .03 bis η² = .09) zwischen Milieus. Für acht dieser Items wurden insgesamt 20 signifikante Gruppenunterschiede (p ≤ .001) gefunden, die die Gesamt- und Nutzenbeurteilung der Rehabilitation (Seehof, Oberharz) sowie die Beurteilung des Behandlungserfolges (Seehof) und dreier weiterer Behandlungsaspekte (Seehof, Oberharz) betrafen. Patient*innen des Prekären Milieus gaben – vor allem im Vergleich zum Konservativ-etablierten Milieu und Liberal-intellektuellen Milieu – signifikant geringere Zufriedenheitswerte an. Durch unsere Studie wurden signifikante Zusammenhänge des Milieus mit dem sozialmedizinischen Outcome und einzelne milieubezogene Unterschiede in der Reha-Zufriedenheit aufgezeigt. Unsere Ergebnisse unterscheiden sich von anderen Studien, die nur sozioökonomische Merkmale untersuchten. Insbesondere Patient*innen aus dem Prekären Milieu scheinen in der Rehabilitation benachteiligt zu sein. Unsere Studie weist auf den Einfluss soziokultureller Merkmale hin, die mittels der Anwendung von Milieu-Modellen differenziert werden können. Weitere Forschungen sollten die Langzeitergebnisse verschiedener Milieus untersuchen und empirisch die milieuspezifischen Behandlungsbedürfnisse ermitteln. So könnten diese stärker berücksichtigt und die Erwerbsprognose und Reha-Zufriedenheit insbesondere von Patient*innen aus benachteiligten Milieus weiter verbessert werden.

Schlüsselwörter: Psychosomatische Rehabilitation, Sozialmedizinisches Outcome, Patientenzufriedenheit, Soziale Milieus, Soziale Ungleichheit

 

Sociomedical outcome and treatment satisfaction across social milieus in psychosomatic rehabilitation


Abstract
The sociomedical outcome and treatment satisfaction after psychosomatic rehabilitation differ between patients. So far, these differences have only been studied to a limited extent and on the basis of socio-demographic and -economic, disease-related and rehabilitation-specific characteristics. By applying a milieu model for the first time, our study also includes socio-cultural influence factors in order to examine whether the specific needs and life realities of patients are sufficiently taken into account in rehabilitation. In two psychosomatic rehabilitation centres (Seehof and Oberharz, N = 1000 each), the Sinus milieu indicator questionnaire for Germany 10/2018 (standardised questionnaire) was collected at the beginning of rehabilitation (T0) to determine the social milieus of the patients. After completed rehabilitation (T1), the medical documentation was used to analyse the temporal performance capacity (≥6h, ≥3h bis <6h, <3h) concerning the last job that was subject to social insurance (N = 1987) and regarding the general labour market (N = 1988), as well as a total of 30 selected items from the clinic-specific discharge questionnaires to analyse various aspects of treatment satisfaction. Parameters were analysed by chi-square tests of independence resp. one-way ANOVA and post-hoc tests. There were significant relationships between the milieu and the temporal performance capacity a) concerning the last job that was subject to social insurance, χ2(18) = 70.45, p < .001, Cramérs V = .13 (small effect), and b) regarding the general labour market, χ2(18) = 63.89, p < .001, Cramérs V = .13 (small effect). Significantly fewer patients than expected from the Established Milieu (a, b), the Liberal Intellectual Milieu (a) and the Performer Milieu (a), and significantly more patients than expected from the Precarious Milieu (a, b), the Traditional Milieu (a, b) and the Modern Mainstreamer Milieu (b) had a performance capacity of less than three hours per day. With regard to treatment satisfaction, for 13 questionnaire items there were significant differences (p < .001 to p = .004) of small to medium effect sizes (η² = .03 to η² = .09) between milieus. In total, 20 significant group differences (p ≤ .001) were found for eight of these items, concerning the overall assessment of rehabilitation (Seehof, Oberharz) and the assessment of rehabilitation benefits (Seehof, Oberharz), treatment success (Seehof) and three other treatment aspects (Seehof, Oberharz). Patients from the Precarious Milieu indicated significantly lower satisfaction values, especially in comparison to the Established Milieu and the Liberal Intellectual Milieu. Our study revealed significant relationships of the social milieu with the sociomedical outcome and single milieu-specific differences in treatment satisfaction. The results differ from those of other studies that only examined socio-economic factors. Particularly the Precarious Milieu seems to be disadvantaged in rehabilitation. Our study indicates an effect of socio-cultural influence factors which can be differentiated by applying milieu models. Further research should examine the long-term results in different milieus and empirically determine milieu-specific treatment needs. In this way, they can be better considered in the future, and satisfaction and employment prognosis, particularly of patients from disadvantaged milieus, could be further improved.

Key words: Psychosomatic rehabilitation, sociomedical outcome, patient satisfaction, social milieus, social inequality


Korrespondierende Autorin:
Henrika Kleineberg-Massuthe
Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation,
Charité – Universitätsmedizin Berlin
henrika.kleineberg-massuthe@charite.de


 


Sinus-Milieus psychosomatischer Patientinnen und Patienten
Ulrich Stattrop, Stefan Koch, Heide Möller-Slawinski & Andreas Hillert


Zusammenfassung
Inwieweit sind in einer psychosomatischen Fach- bzw. Akutklinik stationär behandelte Patient*innen ein Abbild der Gesellschaft? Welche sozialen Gruppen sind ggf. unter-, welche überrepräsentiert? Welchen Einfluss hat die Milieu-Zugehörigkeit auf die Behandlungszufriedenheit und den Therapieverlauf? Die politischen („Versorgungsgerechtigkeit“) und therapeutischen Implikationen dieser Fragen, sollte es relevante Milieu-Unterschiede bezüglich der genannten Aspekte geben, sind erheblich. Sie reichen bis zu möglichen milieu-adaptierten Behandlungsangeboten und einer Relativierung aktueller therapeutischer Leitlinien. Knapp 3000 stationär aufgenommene erwachsene Patient*innen einer psychosomatischen Akutklinik wurden bei Aufnahme bzgl. ihrer Milieu-Zugehörigkeit verortet. Parallel dazu wurden systematisch Diagnosen und Symptomatik (u.a. mit dem BSI, BDI-II) sowie subjektive Krankheitsmodelle erfasst. Es werden zehn SINUS-Milieus unterschieden. Relativ zur Häufigkeit in der Bevölkerung sind Patienten aus dem sozialökologischen Milieu deutlich über-, aus traditionellen, bürgerlichen, prekären, adaptiv-pragmatischen Milieus sowie Performer unterrepräsentiert. Depressive stammen eher aus dem traditionellen, konservativ-etablierten, liberal-intellektuellen Milieu sowie dem Milieu der Performer, selten aus dem adaptivpragmatischen Milieu. Patienten mit Zwangsstörung kommen seltener aus Oberschicht-, Essstörungspatienten eher aus „modernen“ Milieus, während Tinnitus-Patienten dort kaum vertreten sind. Performer und Liberal-Intellektuelle erleben sich vorzugsweise als „Burnout“, Patienten aus dem prekären Milieu als „ausgebrannt“. Die Therapieerfolge psychosomatischer Patienten hängen deutlich von der Milieu-Zugehörigkeit ab. So profitieren depressive Patienten aus dem Milieu der Performer (Effektstärke BDI-II Aufnahme/Entlassung: 1,55), Liberal-intellektuelle (1,46) und Adaptiv-pragmatische (1,41) deutlich besser als Patienten aus der Bürgerlichen Mitte (1,11), dem hedonistischen (1,10) und traditionellen (10,6), aber auch dem expeditiven (0,97) Milieu. Prekäre haben in dieser Subgruppe depressiver Patienten eine signifikant ausgeprägtere Symptomatik. Bzgl. der Weiterempfehlung als Maß ihrer subjektiven Zufriedenheit unterscheiden sich die sozial höhergestellten Milieus im positiven Sinne von den tiefer stehenden. In einer psychosomatischen Akutklinik behandelte Patienten sind kein “Abbild“ der Gesellschaft. Über materielle Aspekte hinaus („sozialer Gradient“) determinieren Milieu-spezifische gesundheitsbezogene Perspektiven u.a. Symptom-Erleben, Krankheitsmodelle, diesbezüglich verwendete Begriffe, Therapiezufriedenheit und Therapieverlauf. Aktuell praktizierte Therapieangebote entsprechen vor allem den Erwartungen von Patienten aus dem sozialökologischen Milieu, die u.a. auch in den Therapieleitlinien zugrunde liegenden Studien überrepräsentiert sein dürften. Sich daraus ergebende therapeutische und gesundheitspolitische Konsequenzen werden aufgezeigt.

Schlüsselwörter: SINUS-Milieus, Milieu-Zugehörigkeit, stationäre Psychotherapie, subjektive Krankheitskonzepte, Burnout, Therapieerfolg

 

Sinus-milieus of psychosomatic patients


Abstract
To what extent are inpatients treated in a psychosomatic specialist or acute clinic a reflection of society? Which social groups are possibly under- and which are over-represented? What influence does the milieu affiliation have on treatment satisfaction and the course of therapy? The political (“supply justice”) and therapeutic implications of these questions, should there be relevant milieu differences with regard to the aspects mentioned, are significant. They extend to possible milieu-adapted treatment offers and current therapeutic guidelines. Almost 3000 adult patients admitted to a psychosomatic acute clinic were located upon admission with regard to their milieu affiliation. At the same time, diagnoses and symptoms (e.g. with the BSI, BDI-II) and subjective disease models were systematically recorded. A distinction is made between ten SINUS milieus. Relative to the frequency in the population, patients from the socio-ecological milieu are clearly over-represented and from traditional, bourgeois, precarious, adaptive-pragmatic milieus and performers are under-represented. Depressives tend to come from the traditional, conservative-established, liberal-intellectual milieu and milieu of performers, rarely from the adaptive-pragmatic milieu. Patients with obsessive-compulsive disorder are less likely to come from upper-class backgrounds, eating disorder patients more from “modern” milieus, while tinnitus patients are hardly represented there. Performers and liberal intellectuals prefer to experience themselves as "burnout", patients from the precarious milieu as "burned out". The therapeutic success of psychosomatic patients clearly depends on the milieu they belong to. Depressive patients from the milieu of performers (effect size BDI-II admission/discharge: 1.55), liberal-intellectual (1.46) and adaptive-pragmatic (1.41) benefit significantly better than patients from the middle class (1 .11), the hedonistic (1.10) and traditional (10.6), but also the expeditious (0.97) milieu. In this subgroup of depressed patients, precarious patients have significantly more pronounced symptoms. With regard to the recommendation as a measure of their subjective satisfaction, the socially higher-ranked milieus differ in a positive sense from the lower-ranked ones. Patients treated in a psychosomatic acute clinic are not a "copy" of society. In addition to material aspects (“social gradient”), milieu-specific health-related perspectives determine, among other things, symptom experience, disease models, terms used in this regard, therapy satisfaction and the course of therapy. Therapy offers currently being practiced correspond above all to the expectations of patients from the socio-ecological milieu, which, among other things, are likely to be overrepresented in the studies on which the therapy guidelines are based. The resulting therapeutic and health policy consequences are shown.

Key words: Sinus-milieus, milieu affiliation, inpatient psychotherapy, subjective illness concepts, burnout, therapy outcome


Korrespondierender Autor:
Dr. Ulrich Stattrop
Oberarzt
Schön Klinik Roseneck
Am Roseneck 6
83209 Prien am Chiemsee
+49-8051-68-0
ustattrop@schoen-klinik.de


 


Sinus-Milieus von PatientInnen in der akut-stationären psychiatrischen Behandlung – im Abgleich mit den Sinus-Milieus der Therapeuten
Ulrich Sprick & Martin Köhne


Zusammenfassung
Das Alexius/Josef Krankenhaus in Neuss ist psychiatrischer Pflichtversorger für ca. 500.000 Einwohner des Rhein-Kreises Neuss. Neben der Grundversorgung als Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie werden für die städtischen und ländlichen Gebiete sowohl gemeindenahe Angebote wie auch überregionale Spezialangebote bereitgehalten. Im Erhebungszeitraum 2019/2020 wurde konsekutiv zur stationären Behandlung aufgenommenen Patient-Innen des Alexius/Josef Krankenhaus, ergänzend zur Erhebung der Routinedaten, ein Fragebogen vorgelegt, der neben der Erhebung der SINUS-Milieus auch Fragen zu subjektiven Störungsmodellen und Einsamkeitserlebenbeinhaltete. Parallel dazu wurden TherapeutInnen der Klinik gebeten, den analogen Fragebogen auszufüllen. Im vorliegenden Beitrag werden die Ergebnisse dieser Befragung vorgestellt und die Ergebnisse von PatientInnen und TherapeutInnen miteinander verglichen. Unter den PatientInnen waren solche aus dem hedonistischen und dem sozialökologischen Milieu, im Vergleich zur Verteilung in der Bevölkerung, hochsignifikant überrepräsentiert, PatientInnen aus dem traditionellen Milieu, der bürgerlichen Mitte und des konservativ-etablierten Milieus hingegen unterrepräsentiert. Auch unter den TherapeutInnen entsprach die Milieu-Verteilung nicht der der Bevölkerung: hier waren das sozialökologische und das expeditive Milieu überrepräsentiert. Ausgehend von diesen Ergebnissen werden mögliche Konsequenzen und Perspektiven, u.a. was die Konzeption neuer Versorgungsangebote anbelangt, diskutiert. Aus der genaueren Kenntnis der sozialen Milieu-Zugehörigkeit psychiatrischer Patienten und deren Denk- und Wahrnehmungsmuster (zumal hinsichtlich medizinisch-therapeutischer Themen), ergeben sich für das Fachgebiet der Psychiatrie und Psychotherapie konzeptuelle und therapeutisch-inhaltliche Fragestellungen, die zukünftig die ihnen angemessene Beachtung finden sollten.

Schlüsselwörter: Milieuzugehörigkeit, Lebensweltorientierung, Diversität, Versorgungsangebote

 

Sinus milieus of patients in acute inpatient psychiatric treatment – in comparison with the sinus milieus of therapists


Abstract
The Alexius/Josef Clinic in Neuss is the compulsory psychiatric provider for around 500,000 residents in the area of Rhein-Kreis Neuss. In addition to the basic care as a clinic for psychiatry and psychotherapy, both community-based offers and nationwide special offers are available for urban and rural areas. In the 2019/2020 survey period, patients admitted to the Alexius/Josef Clinic for in-patient treatment were presented a questionnaire together with the collection of routine data, which, in addition to the matching of the SINUS milieu, also included questions on subjective disorder models and the experience of loneliness. At the same time, therapists of the clinic were asked to respond to the analogous questionnaire. In this article, the results of this survey are presented and the results of patients and therapists are compared. Among the patients, those from the hedonistic and socio-ecological milieu were significantly overrepresented compared to the distribution in the normal population, while patients from the traditional milieu, the middle class and the conservative-established milieu were underrepresented. Among the therapists, too, the milieu distribution did not correspond to that of the normal population: the socio-ecological and the expeditive milieu were overrepresented in the group of therapists. Based on these results, possible consequences and perspectives, including the conception of new care offers, are discussed. From the more precise knowledge of the social milieu of psychiatric patients and their patterns of thought and perception (especially with regard to medical-therapeutic topics), conceptual and therapeutic-related questions arise for the field of psychiatry and psychotherapy, which should receive appropriate attention in the future.

Key words: Milieu affiliation, living environment orientation, diversity, supply offers

 

Korrespondierender Autor
Prof. Dr. Dr. Ulrich Sprick
Chefarzt Ambulante Dienste und Tageskliniken
Alexius/Josef Krankenhaus Neuss
Nordkanalallee 99
41464 Neuss
u.sprick@ak-neuss.de


 

Fragebögen funktionieren wie Blutdruckmessgeräte?
Zur Interaktion sozialer (Sinus-)Milieus, Depressions-Scores und subjektiver Störungsmodelle

Andreas Hillert, Ulrich Stattrop, Adrian Meule & Heide Möller-Slawinski


Zusammenfassung
Psychometrische Fragebögen zur Messung und quantitativen Beurteilung z.B. der depressiven Symptomatik von Patienten sind – analog Blutdruckmessgeräten – in der Behandlung und Erforschung affektiver Störungen etabliert. Damit erhobene Befunde werden als grundsätzlich valide gehandhabt. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive lassen sich innerhalb der Gesellschaft unterschiedliche Gruppen „Gleichgesinnter“ bzw. soziale Milieus unterscheiden. Der vom SINUS-Institut erarbeitete Ansatz ist im klinischen Setting praktikabel. Ausgehend hiervon wurden konsekutiv aufgrund depressiver Störungen aufgenommene Patienten einer psychosomatischen Akutklinik den jeweiligen Sinus-Milieus zugeordnet und mit deren Depressions-Scores (PHQ) sowie subjektiven Störungsmodellen („Burnout“- bzw. „ausgebrannt sein“-Identifikation) abgeglichen. Patienten des Sozialökologischen Milieu waren in der Klinik deutlich überrepräsentiert. Bezogen auf die Fragestellung zeigte sich, dass nicht nur der Depressionsscore, sondern auch das Verhältnis von diesem und den subjektiven Störungsmodellen Milieu-abhängig ist. Sich primär als depressiv erlebende (Prekäre-, Adaptiv-pragmatische, Hedonistische und Traditionelle)Milieus stehen Milieus gegenüber, in denen die depressive Symptomatik primär aus der Störungsmodell-Perspektive wahrgenommen und dabei als weniger stark bewertet wird (u.a. Liberal-intellektuelles, Konservativ-etabliertes und Sozialökologisches Milieu). Milieu-Zugehörigkeit ist somit ein die Symptomwahrnehmung und damit die in psychometrischen Fragebögen angegebenen Werte relevant beeinflussender Faktor. Dies sollte in der weiteren klinischen Forschung, etwa wenn es um die Generalisierung von Studienergebnissen geht, Berücksichtigung finden.

Schlüsselwörter: Soziale Milieus, Sinus-Milieus, depressive Störungen, psychometrische Fragebögen, stationäre psychosomatische Behandlung

 

Questionnaires work like blood pressure monitors?
Interaction of social (Sinus-)milieus, depression scores and subjective models of disorders


Abstract
Psychometric questionnaires for the measurement and quantitative assessment of e.g. the depressive symptoms of patients are - like blood pressure measuring devices - established in the treatment and research of affective disorders. Findings collected in this way are generally treated as valid. From a social science perspective, different groups of like-minded people or social milieus can be distinguished within society. The approach developed by the SINUS Institute is practicable in the clinical setting. Based on this, consecutive patients admitted to a psychosomatic acute clinic because of depressive disorders were assigned to the respective Sinus-milieus and compared with their depression scores (PHQ) and subjective disorder models (“burnout” or “ausgebrannt sein” identification). Patients from the socio-ecological milieu were clearly overrepresented in the clinic. In relation to the question, it was shown that not only the depression score but also the relationship between this and the subjective disorder models is dependent on the environment. Milieus that experience themselves primarily as depressive (precarious, adaptive-pragmatic, hedonistic and traditional) are opposed to milieus in which the depressive symptoms are primarily perceived from the perspective of the disorder model and are rated as less strong (including liberal-intellectual, conservative-established and socio-ecological milieu). Affiliation to the milieu is thus a factor that has a relevant influence on the perception of symptoms and an aspect influencing the answering of questions in psychometric questionnaires. This should be taken into account in further clinical research, for example when study results are generalized.

Key words: Social milieus, Sinus-milieus, depressive disorders, psychometric questionnaires, inpatient psychosomatic treatment


Korrespondierender Autor
Prof. Dr. Dr. Andreas Hillert
Schön Klinik Roseneck
Am Roseneck 6
83209 Prien am Chiemsee
ahillert@schoen-klinik.de


 


Burnout- und Belastungserleben chinesischer und deutscher Schülerinnen und Schüler im Vergleich: soziokulturelle Muster und psychische Gesundheit
Sophia Hillert, Andreas Hillert, Yijing Zhou & Wolfgang Mastnak


Zusammenfassung
Die steigende Zahl psychisch belasteter Jugendlicher wird u.a. mit steigendem Leistungsdruck erklärt. Empirische Erhebungen dokumentieren das hohe Belastungserleben deutscher Gymnasiasten („Burnout“). Angesichts des erheblich weniger individuelle Freiheiten gewährenden Systems in China wäre zu erwarten, dass das subjektive Belastungserleben bzgl. Alter und Schultyp vergleichbarer chinesischer Jugendlicher deutlich höher ist. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach den individuelles Belastungserleben determinierenden bzw. relativierenden Mustern. Ausgehend von der Prüfhypothese, wonach chinesische ein geringeres Belastungserleben als deutsche GymnasiastInnen haben, wurden deutsche (n=199, 42,2% weiblich, durchschnittlich 14,06 Jahre) und chinesische SchülerInnen (n=236, 56,4% weiblich, durchschnittlich 15,92 Jahre) mit einem standardisierten Instrumentarium, das u.a. eine Schüler-Version des Maslach Burnout-Inventars (MBI) beinhaltete, nach Belastungserleben, beruflichen Zielen und lebensperspektivischen Werten gefragt. Die Analysen wurden mit IBM SPSS Statistics 24 durchgeführt. Die Prüfhypothese konnte nicht bestätigt werden: chinesische Jugendliche erleben sich, gemessen mit dem MBI, als signifikant geringer belastet. Ansonsten waren die Unterschiede der Muster der Jugendlichen eher gering. So sind Spaß-Orientierung und unklare berufliche Ziele auch bei chinesischen SchülerInnen häufig. Ihr geringeres Belastungserleben erklärt sich durch eine positivere Haltung der Schule gegenüber sowie eine stärkere Verbundenheit mit der Familie. Zwar lassen die vorliegenden Daten keine generellen Aussagen über „die Jugend“ beider Länder zu, gleichwohl ergeben sich methodische wie inhaltliche Implikationen. So wird das quasi als Gegenentwurf zum Resilienz-Phänomen imponierende Burnout-Konzept relativiert. Burnout-Erleben verweist nur bedingt auf langfristige Überforderung, es kann zumal bei Jugendlichen auch fehlende (berufliche) Perspektiven spiegeln. Inhaltlich ergeben sich Hinweise darauf, dass tradierte Strategien zur Prävention/Behandlung von Burnout-Konstellationen von Jugendlichen, die auf Entlastung von Leistungsdruck und u.a. Entspannungstechniken fokussieren, unzureichend und kontraproduktiv sein könnten. Ergänzend sind – mit Blick auf die deren relative Resilienz begründenden Muster chinesischer Jugendlicher – Ansätze erforderlich, in denen Jugendliche darin unterstützt werden, Werte zu reflektieren und für sie angemessene Ziele zu definieren.

Schlüsselwörter: deutsche Schüler, chinesische Schüler, Burnout, Belastungserleben, interkultureller Vergleich

 

A comparison of burnout and stress experienced by Chinese and German high school students: sociocultural patterns and mental health


Abstract
The rising number of mentally stressed young people is explained, among other things, with increasing pressure to perform. Empirical surveys document the high levels of stress experienced by German high school students (“burnout”). In view of the system in China, which grants significantly fewer individual freedoms, it would be expected that the subjective experience of stress with regard to age and school type would be significantly higher for comparable Chinese young people. In addition, the question arises as to the patterns that determine or relativize the individual experience of stress. Based on the test hypothesis, according to which Chinese high school students experience less stress than Germans, German (n=199, 42.2% female, average age 14.06 years) and Chinese students (n=236, 56.4% female, on average 15.92 years) with a standardized set of instruments, which included a student version of the Maslach Burnout Inventory (MBI), among other things, were asked about stress experiences, professional goals and life perspective values. The analyzes were performed with IBM SPSS Statistics 24. The test hypothesis could not be confirmed: measured with the MBI, Chinese young people experience significantly less stress. Otherwise, the differences in the patterns of the young people were rather small. Fun orientation and unclear professional goals are also common among Chinese students. Their less stressful experience can be explained by a more positive attitude towards school and a stronger bond with the family. Although the data available do not allow any general statements to be made about "the youth" of both countries, there are nevertheless methodological and content-related implications. In this way, the concept of burnout, which seems to impress as an alternative to the resilience phenomenon, is put into perspective. Experiencing burnout only partially refers to long-term excessive demands, especially since it can also reflect a lack of (professional) perspectives in young people. In terms of content, there are indications that traditional strategies for the prevention/treatment of burnout constellations in young people, which focus on relieving the pressure to perform and, among other things, relaxation techniques, could be insufficient and counterproductive. In addition, with a view to the patterns of Chinese young people that are the reason for their relative resilience, approaches are required in which young people are supported in reflecting on values and defining goals that are appropriate for them.

Key words: German students, Chinese students, burnout, experience of stress, intercultural comparison


Korrespondierende Autorin
Sophia Hillert
Projektmitarbeiterin an der Schön Klinik Roseneck,
Prien am Chiemsee
Schön Klinik Roseneck
Am Roseneck 6
83209 Prien am Chiemsee
hillert.sophia@gmail.com


 

Wie verstehen Menschen Inhalte eines Weisheitsfragebogens?
Eine qualitative Untersuchung mit der 12-WD-Skala

Anne Meier-Credner & Beate Muschalla

 

Zusammenfassung
Weisheit kann verstanden werden als Fähigkeit, unlösbare Probleme zu bewältigen. Verschiedene Selbstratingfragebögen versuchen diese Fähigkeit zu erfassen. Die Items dieser Fragebögen werden von Experten formuliert. Unklar bleibt, was Menschen, die solche Fragebögen ausfüllen, zu den Iteminhalten assoziieren. Wir ließen 38 Personen (M = 38.2 Jahre) die 12-WD-Skala ausfüllen und baten sie anschließend im Freitext zu notieren, woran sie beim Beantworten der einzelnen Items gedacht hatten. Die Auswertung erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse. Die Kommentierungen wurden zusammengefasst in zustimmende „Ausschmückungen“ und kritische „Einschränkungen“. Es wurde außerdem ein Bezug zur quantitativen Zustimmungstendenz zu den Items der Weisheitsskala hergestellt. Die Probanden hatten zu allen Items der Weisheitsskala vielfältige Assoziationen, sowohl solche, die den Iteminhalt weiter ausschmückten als auch solche, die Einschränkungen ausdrückten. Je mehr Einschränkungen zu einem Item genannt wurden, desto geringer war tendenziell die Zustimmung im quantitativen Rating. Bei der Interpretation von Selbstratingfragebögen ist grundsätzlich zu berücksichtigen, dass Probanden die Items auf unterschiedliche Art verstehen können und unterschiedliche Gründe haben, zuzustimmen oder zu widersprechen. In der Einzelfalldiagnostik ist ein Gespräch mit der ausfüllenden Person sinnvoll, um ein Fragebogenergebnis inhaltlich interpretieren zu können. Grundsätzlich sprechen die Ergebnisse dafür, dass die Itemformulierungen der 12-WD-Skala durchaus verstanden wurden.

Schlüsselwörter: Weisheitsmessung, qualitative Inhaltsanalyse, Inhaltsvalidität, Weisheitsskala

 

How do people understand the content of a wisdom questionnaire?
A qualitative study of the 12-WD scale


Abstract
Wisdom can be understood as the ability to cope with unsolvable problems. Various wisdom concepts and self-rating questionnaires attempt to capture this ability. The items of these questionnaires are formulated by experts. It remains unclear what people who subsequently complete the questionnaire associate with the item contents. In the current study we investigated the content validity of a wisdom scale based on a multidimensional wisdom concept. A total of 38 people (M = 38.2 years) completed a wisdom scale and were then asked what they thought about the items when answering them. The responses were analyzed by means of qualitative content analysis. For this purpose, a category system was developed inductively. The associations were grouped into agreements and limitations. We provided a reference to the quantitative agreement tendency to the items of the wisdom scale. The interviewed people gave a variety of associations to all items of the wisdom scale: some which further elaborated on the item content, and some which expressed differentiations. The more differentiations were associated with an item, the lower was the average agreement to the item. When interpreting self-rating questionnaires on wisdom, it should be taken into account that people may have broad associations to the items that influence their response behavior. In individual diagnostics, individual exploration of the persons completing the questionnaire is necessary in order to be able to interpret their questionnaire result.

Key words: wisdom measurement, qualitative content analysis, content validity, wisdom scale

 

Korrespondierende Autorin
Anne Meier-Credner
Technische Universität Braunschweig, Psychotherapie
und Diagnostik
Humboldtstraße 33
38106 Braunschweig
+49-531-391-3625
a.meier-credner@tu-braunschweig.de

 


 

Psychosoziale und Medizinische Rehabilitation
36. Jahrgang • 2023 • Heft 1 (121)
Pabst, 2023
ISSN 0933-842X
Preis: 14,- €

 

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