Inhaltsverzeichnis
Neglected?! – Übersehene oder unterschätzte Phänomene in der Psychosomatik
Beate Muschalla
Häufig übersehen?!
Die Körperdysmorphe Störung und die Olfaktorische Referenzstörung
Anja Grocholewski
Alltagsstress, Kontrollerleben, Flow und Mediensucht: „Die dunkle Seite der sozialen Plattformen“
Julia Brailovskaia
Der Kick beim Kauf – Das unterschätzte Phänomen pathologisches Kaufen
Nora M. Laskowski & Astrid Müller
Die Zahnbehandlungsphobie –
Phänomenologie, Sozialmedizin und Behandlung bei einer unterschätzten psychischen Erkrankung
Nora Buhrow
Induktion gesellschaftlicher Verbitterung durch Informationen über historische Beziehungen zwischen Nachbarländern – eine experimentelle Studie
Beate Muschalla, Laura Lumma, Michael Linden
Parallelerfassung von Psychotherapie-Nebenwirkungen durch Patient und Therapeut in Routine- wie Ausbildungstherapien mittels der „UE-PT-Skala”
Michael Linden
Dank an unsere Gutachterinnen und Gutachter
Neglected?! – Übersehene oder unterschätzte Phänomene in der Psychosomatik
Beate Muschalla
Häufig übersehen?! Die Körperdysmorphe Störung und die Olfaktorische Referenzstörung
Anja Grocholewski
Zusammenfassung
Das Aussehen und der Körpergeruch sind heutzutage wichtige Themen, und Menschen investieren zunehmend in sie (z.B. durch kosmetisch-medizinische Behandlungsmaßnahmen oder den Gebrauch von Parfum). Eine starke Investition in Aussehen oder Geruch ist nicht per se psychopathologisch auffällig, könnte aber Hinweise geben auf assoziierte psychische Störungen: die Körperdysmorphe Störung (Aussehen) oder die Olfaktorische Referenzstörung (Geruch). Beide Störungen sind sowohl in Forschung als auch klinischer Praxis unterrepräsentiert und werden im Beitrag vorgestellt. Die Punktprävalenz der Körperdysmorphen Störung in der deutschen Allgemeinbevölkerung liegt bei etwas mehr als 2%. Die Störung beginnt in der Adoleszenz, verläuft unbehandelt in der Regel chronisch und kann zu erhöhten Suizidraten und sozialer Isolation führen. Betroffene suchen primär nicht-psychiatrische/psychotherapeutische Behandlungssettings auf und kommen erst spät in psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung. Zur Behandlung haben sich besonders die Kognitive Verhaltenstherapie und Selektive Serotonin Wiederaufnahmehemmer als wirksam erwiesen, es existieren mittlerweile deutschsprachige Behandlungsmanuale. Über die Olfaktorische Referenzstörung liegen noch keine zuverlässigen Prävalenzschätzungen vor. Vermutlich beginnt die Störung im jungen Erwachsenenalter. Es zeigt sich ein zur Chronifizierung neigender Verlauf mit erhöhten Suizidraten und starken Beeinträchtigungen im sozialen und beruflichen Leben. Auch hier suchen Betroffene zunächst nicht-psychiatrische/psychotherapeutische Behandlung auf. Die Wirksamkeit von Psychotherapie und/oder Pharmakotherapie wurde bisher nur in Einzelfallstudien nachgewiesen; hier sind keine gesicherten Aussagen möglich.
Schlüsselwörter: Körperdysmorphe Störung, Dysmorphophobie, Olfaktorische Referenzstörung, Olfaktorisches Referenzsyndrom
Often overlooked?! The Body Dysmorphic Disorder and the Olfactory Reference Disorder
Abstract
Appearance and body odour are important issues these days and people are increasingly investing in them (e.g. through cosmetic-medical treatments, or the use of perfume). A severe investment in appearance or smell is not psychopathologically conspicuous per se, but it could provide evidence of associated mental disorders: the body dysmorphic disorder (appearance) or the olfactory reference disorder (smell). Both disorders are underrepresented in both research and clinical practice and are presented in the article. The point prevalence of body dysmorphic disorder in the German general population is slightly more than 2%. The disorder begins in adolescence, is usually chronic if left untreated, and can lead to increased suicide rates and social isolation. Those affected seek primarily non-psychiatric/psychotherapeutic treatment settings and only come to psychiatric/psychotherapeutic treatment at a late stage. Cognitive behavioural therapy and selective serotonin reuptake inhibitors have proven to be particularly effective for treatment, and treatment manuals in German have now been published. Reliable estimates of the prevalence of the olfactory reference disorder are not yet available. The disorder probably begins in young adulthood. There is a tendency towards chronicity with increased suicide rates and severe impairments in social and professional life. Here too, those affected initially seek non-psychiatric/psychotherapeutic treatment. The effectiveness of psychotherapy and/or pharmacotherapy has so far only been demonstrated in individual case studies;no reliable statements can be made here.
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Key words: body dysmorphic disorder, dysmorphophobia, olfactory reference disorder, olfactory reference syndrome
Dr. rer. net. Anja Grocholewski
Technische Universität Braunschweig
Abt. Klinische Psychologie, Psychotherapie und
Diagnostik
Humboldtstr. 33
38126 Braunschweig
anja.grocholewski@tu-braunschweig.de
Alltagsstress, Kontrollerleben, Flow und Mediensucht: „Die dunkle Seite der sozialen Plattformen“
Julia Brailovskaia
Zusammenfassung
Die Nutzung von sozialen Medien wie Facebook und Instagram gehört zum heutigen Alltag. Kurzfristig ermöglicht soziale Interaktion, die auf diesen geführt wird, das Erleben von positiven Emotionen. Längerfristig
könnten eben diese positiven Emotionen zur Entwicklung einer starken emotionalen Bindung an die sozialen Medien und zu einem pathologischen Bedürfnis, ständig online zu bleiben, führen. Dieses Phänomen
wird als Social Media Addiction bezeichnet. Vorliegende Studienbefunde sprechen dafür, dass sich die Social Media Addiction negativ auf die psychische Gesundheit auswirken könnte. Unter anderem steht sie
in einem positiven Zusammenhang mit Insomnie, Symptomen von Depression und Angst sowie suizidalen Gedanken und suizidalem Verhalten. In der vorliegenden Studie wurden potentielle Prädiktoren der Social
Media Addiction untersucht. Dafür wurden in einer Stichprobe, die sich aus insgesamt 1,258 Mitgliedern sozialer Medien zusammensetzte (Alter: M (SD) = 22.96 (6.16)), die Variablen Erleben von Alltagsstress, Kontrollerleben,,Social Media Flow (d.h. hohes Ausmaß an Spaß und Freude bei der Nutzung von sozialen Medien) und Social Media Addiction mithilfe eines Online-Fragebogens erhoben. Im Rahmen einer moderierten,Mediationsanalyse ließ sich feststellen, dass der positive Zusammenhang zwischen Alltagsstress und Social Media Addiction durch das Kontrollerleben signifikant mediiert wird. Weiterhin moderiert Social,Media Flow signifikant die Beziehung zwischen dem Kontrollerleben und der Social Media Addiction: Diese besteht nur bei einem mittelhohen und einem hohen Level an Flow-Erleben. Die Ergebnisse der vorliegenden,Studie zeigen die Mechanismen auf, die die Entwicklung der Social Media Addiction fördern könnten. Das Erleben von Alltagsstress könnte das Kontrollerleben reduzieren, was wiederum die suchtartige Nutzung,von sozialen Medien fördert. Das Flow-Erleben während der Mediennutzung könnte diesen Zusammenhang verstärken. Die vorliegenden Befunde sollten bei der Identifikation von Menschen, die zu einer,suchtartigen Mediennutzung neigen, und bei der Ausarbeitung von spezifischen Interventionen zum Umgang mit diesem Problem des Zeitalters der digitalen Revolution in Betracht gezogen werden.
Schlüsselwörter: Alltagsstress, Kontrollerleben, Social Media Flow, Social Media Addiction
Daily stress, sense of control, flow, and Media Addiction: "The Dark Side of Social Platforms"
Abstract
The use of social media such as Facebook and Instagram belongs to everyday life. In the short-term, online social interaction contributes to the experience of positive emotions. However, in the longer-term, the positive experiences could contribute to the development of a strong emotional bond to social media and a pathological need to stay permanently online. This phenomenon was termed as social media addiction.
Available studies reveal that social media addiction could negatively impact mental health. It is positively related to insomnia, depression and anxiety symptoms as well as suicide-related outcomes (i.e., ideation and behavior). The present study investigated potential predictors of addictive social media use. In a sample of 1,258 members of social media (age: M (SD) = 22.96 (6.16)), daily stress, sense of control, social media flow (experience of intense enjoyment and happiness during social media use), and social media addiction were assessed by an online survey. In a moderated mediation analysis, the positive association between daily stress and social media addiction was significantly mediated by the level of perceived sense of control. Social media flow significantly moderated the relationship between sense of control and social media addiction. Specifically, the link between both variables was significant only for medium and high levels of social media flow. The present findings disclose potential mechanisms that could foster social media addiction. Daily stress could reduce individual’s sense of control that results in an addictive use of social media. The experience of flow during the online activity could foster this association. The present results should be taken into account when assessing individuals at risk for addictive online behavior and when planning specific interventions to deal with this problem of the current age of digital revolution.
Keywords: daily stress, sense of control, social media flow, social media addiction
PD Dr. Julia Brailovskaia
Ruhr-Universität Bochum
Lehrstuhl Klinische Psychologie & Psychotherapie
Massenbergstr. 9-13
44787 Bochum
Julia.brailovskaia@rub.de
Der Kick beim Kauf – Das unterschätzte Phänomen pathologisches Kaufen
Nora M. Laskowski & Astrid Müller
Zusammenfassung
Pathologisches Kaufen stellt ein schon lange bekanntes und zunehmend erforschtes Phänomen dar, welches erhebliche negative Konsequenzen für die Betroffenen mit sich bringt. Es äußert sich in einer enormen gedanklichen Beschäftigung mit Kaufaspekten, in einem als unwiderstehlich empfundenen Kaufdrang und in regelmäßigem Kontrollverlust, der in Kaufepisoden mündet. Dabei werden die erworbenen Güter wenig
bis gar nicht genutzt. Die wiederkehrenden Kaufepisoden führen zu schweren Belastungen durch soziale, berufliche, psychologische und rechtliche Konsequenzen. Patient*innen mit pathologischem Kaufen leiden zudem häufig an Komorbiditäten, vor allem Binge-Eating-Störung, pathologisches Horten, Angststörungen oder Depression. Bisher erfolgreiche Behandlungsansätze sind manualisierte kognitiv-verhaltenstherapeutische Gruppenkonzepte. Online-Handel und personalisierte Werbung führen zu einem Anstieg der geschätzten Prävalenz von pathologischem Kaufen, die aktuell bei etwa 5% liegt. So ist es kaum verständlich, dass pathologisches Kaufen nach wie vor keine anerkannte eigenständige psychische Störung ist. Aktuell präferiert wird die Zuordnung zu den Verhaltenssüchten. Eine Anerkennung als eigenes Störungsbild ist längst überfällig, auch um Patient*innen verlässlich zu identifizieren und so zu verhindern, dass diese Störung unerkannt bleibt. Auch für die Entwicklung von spezifischen
Behandlungs- und Präventionskonzepten ist die Anerkennung notwendig. Ziel dieses Beitrages ist es, pathologisches Kaufen anhand einer narrativen Literaturübersicht zu beschreiben und über Klassifikation, Epidemiologie, Diagnostik und Therapie zu informieren.
Schlüsselwörter: Pathologisches Kaufen, Kaufsucht, Verhaltenssucht, “Buying-shopping Disorder“, Shoppingstörung
The Thrill of Buying – The underestimated phenomenon of Pathological Buying
Abstract
Pathological buying is a phenomenon that has been known for a long time and which has enormous consequences for those affected. Characteristics for pathological buying are the preoccupation with buying aspects, an urge to buy that is perceived as irresistible and a repetitive loss of control that results in buying episodes. At the same time, the bought goods are used rarely or not at all. The recurrent excessive buying
episodes lead to severe distress due to social, occupational, psychological, and legal consequences. Patients with pathological buying often suffer from psychiatric comorbidities, especially binge-eating disorder, pathological hoarding, anxiety disorders or depression. So far, successful treatment approaches are manual-based cognitive-behavioral group therapies.Online commerce and personalized advertising are leading to an increase in estimated prevalence rates, which are currently around 5%. Thus, it is hard to understand why pathological buying is still not recognized as a distinct mental disorder. Recent research findings indicate that pathological buying should be considered a behavioral addiction. The inclusion in the classification systems is long overdue, but necessary to reliably identify patients and to prevent this disorder from being unrecognized. It is also necessary for the development of specific treatment and prevention concepts. The aim of this article is to describe pathological buying based on a narrative literature review and to provide information on classification, epidemiology, diagnosis, and treatment.
Keywords: pathological buying, shopping addiction, behavioral addiction, buying-shopping disorder,shopping disorder
Dr. rer. biol. hum. Nora M. Laskowski
Technische Universität Braunschweig
Abt. Klinische Psychologie, Psychotherapie und
Diagnostik
Humboldtstr. 33
38126 Braunschweig
n.laskowski@tu-braunschweig.de
Prof. Dr. med. Dr. phil. Astrid Müller
Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Straße 1
30625 Hannover
mueller.astrid@mh-hannover.de
Die Zahnbehandlungsphobie – Phänomenologie, Sozialmedizin und Behandlung bei einer unterschätzten psychischen Erkrankung
Nora Buhrow
Zusammenfassung
Die Zahnbehandlungsphobie ist den Angststörungen zuzuordnen und zählt damit zu den häufigsten psychischen Störungen. Eine Reihe von Beanspruchungen sind mit der Zahnbehandlungsphobie assoziiert, zum einen für Betroffene (z.B. verringerte mundgesundheitsbezogene Lebensqualität oder ein beeinträchtigter Zahnstatus) und zum anderen für Interaktionspartner, wie beispielsweise behandelnde Zahnärzt*innen
(z.B. durch Einschränkungen im Praxisalltag). Daraus ergeben sich zwei Perspektiven bei der genaueren Betrachtung der Zahnbehandlungsphobie: die Perspektive der Betroffenen sowie die zahnärztliche Perspektive. Im vorliegenden Artikel sollen beide Perspektiven beleuchtet werden, um ein tieferes Verständnis für die Besonderheiten dieser Erkrankung erlangen und Ansatzpunkte für Maßnahmen und Interventionen ableiten zu können, die Erkrankten und ihren behandelnden Zahnärzt*innen helfen. Dabei sind vor allem die Ausbildungsmöglichkeiten für Zahnärzt*innen von Relevanz, bei denen bisher nur wenige Inhalte zu beispielsweise Kommunikationsfertigkeiten und Trainings zum Umgang mit Patient*innen integriert sind. Außerdem kommt der Entwicklung und wissenschaftlichen Überprüfung von Behandlungsmöglichkeiten der Zahnbehandlungsphobie eine große Bedeutung zu. Neben verhaltenstherapeutischen expositionsbasierten Interventionen, deren Wirksamkeit bereits durch eine Vielzahl von Studien abgesichert wurde, sollten Alternativen entwickelt werden, da eine Reihe von Betroffenen nicht von Expositionsbehandlungen profitieren. Die Motivierende Gesprächsführung kann als solche Alternative in Betracht gezogen werden.
Schlüsselwörter: Zahnbehandlungsphobie, Zahnärztliche Beanspruchung, Motivierende Gesprächsführung, Verhaltenstherapeutische Intervention
Dental phobia – phenomenology, social medicine, and treatment in an underestimated mental disorder
Abstract
As part of anxiety disorders dental phobia is one of the most occurring mental disorders. A series of strains is associated with dental phobia, some of them in relation to the affected persons (e.g. reduced oral health-related quality of life or a decreased dental status) and some of them in relation to interaction partners as the treating dentists (e.g. due to constraints in daily practice). Hence it reveals two perspectives considering
dental phobia in more detail: the perspective of the affected persons as well as the dentist perspective. In the present article both perspectives will be examined in order to gain a deeper insight of this disorder and derive starting points for interventions helping both affected persons as well as the treating dentists. One relevant starting point is the medical training of dentists, which hardly contains teaching contents regarding
communication skills or training courses on handling of patients. Furthermore, the development and scientific evaluation of treatments for dental phobia should be focused. Apart from behavioral exposure-based interventions, which has a wide empirical basis, alternative treatments should be developed because some patients are not benefiting from exposure based treatments. In this context Motivational
Interviewing can be considered as an appropriate alternative.
Keywords: dental phobia, dentist´s strain, Motivational Interviewing, behaviour therapy, decision-making, evidence-based patient information, health literacy
Dr. rer. nat. Nora Buhrow
Technische Universität Braunschweig
Abt. Klinische Psychologie, Psychotherapie und
Diagnostik
Humboldtstr. 33
38106 Braunschweig
n.buhrow@tu-braunschweig.de
Induktion gesellschaftlicher Verbitterung durch Informationen über historische Beziehungen zwischen Nachbarländern – eine experimentelle Studie
Beate Muschalla, Laura Lumma, Michael Linden
Zusammenfassung
Verbitterung ist ein Gefühl, das auf individueller und auf gesellschaftlicher Ebene ausgelöst werden kann. Sie ist eine reaktive Emotion, vergleichbar mit Angst, in Folge eines negativen Lebensereignisses, das durch Kränkung und Ungerechtigkeitserleben charakterisiert ist. Häufig werden zentrale Grundannahmen und Werte erschüttert, und beim Gedanken an das Ereignis oder die Umstände kommen auch negative Bewertungen,auf. Es können auch ganze Bevölkerungsgruppen von Verbitterung erfasst werden in Folge von Ungerechtigkeitserleben, Herabwürdigung und Groll, durch andere Gruppen oder ganze Länder, etwa wenn es um vergangene Episoden von Krieg, Auseinandersetzungen und dabei vielfach vorgekommene Erschütterungen von Identität, Ressourcen und Lebenswerten geht.,Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob und inwiefern sich Verbitterungserleben durch negativ getönte Berichte über historische Ereignisse induzieren lässt. Die hier durchgeführte experimentelle Studie untersucht, ob ein kurzer negativ gefärbter historischer Bericht bezüglich der deutsch-französischen bzw. der deutsch-deutschen Beziehung in der Lage ist, Verbitterung hervorzurufen. Die Teilnehmenden (N1=206, N2=257) bekamen randomisiert einen neutralen (Kontrollgruppe) oder eine negativ gestalteten (Experimentalgruppe) Bericht über die Beziehungen der Länder in den vergangenen Jahrzehnten zugeteilt. Das Verbitterungsausmaß wurde mit einer auf die historische Beziehung zugeschnittenen Form der PTED-Skala erfasst. Ein erhöhtes Maß an Verbitterung ließ sich durch den kurzen negativ gefärbten Text nicht evozieren. Jedoch trugen der vorgefasste Standpunkt zum Nachbarland (Ist das Land ein guter oder schlechter Partner?) und die Selbsttranszendenz signifikant zur Varianzaufklärung der Verbitterungsreaktion bei, nicht jedoch Alter, Geschlecht, Bildungsgrad, Wohn- oder Heimatort. Die Daten sprechen dafür, dass überdauernde soziale und politische Erfahrungen und Einstellungen mit Verbitterung assoziiert sein können, die jedoch nicht durch kurzfristige Informationen veränderbar sind.
Schlüsselwörter: Verbitterung, Gesellschaft, Werte, Emotionsinduktion
Induction of embitterment by information about historical relations between neighboring countries - an experimental study
Abstract
Embitterment is an emotion that can be triggered on an individual and a societal level. It is a reactive emotion, comparable to fear, as a result of a negative life event characterized by grievance and experience of injustice. Often core basic beliefs and values are hurt, and negative evaluations arise when thinking about the event or conditions. Entire populations can also be seized with embitterment as a result of experiences
of injustice, belittlement and resentment, by other groups or entire countries. Examples can be seen after past episodes of war, conflict and the shattering of identity, resources and life values. Against this background, the question arises whether and to what extent embitterment can be induced by negatively toned information of historical events. The experimental study conducted here investigates whether a short negatively colored historical report concerning the Franco-German or the German-German relationship is able to induce embitterment. Participants (N1=206, N2=257) were randomly assigned to receive a neutral (control group) or a negatively framed (experimental group) information text on the countries' relationship in past decades. Levels of embitterment reaction were assessed using a version of the PTED scale adjusted to the historical relationship. Increased levels of embitterment could not be evoked by the short negatively colored text. However, preconceived attitudes about the neighboring country (Is the country a good or bad partner?) and self-transcendence contributed significantly to variance explanation of the embitterment response. Age, gender, education level, place of residence, or hometown did not contribute to embitterment explanation. The data show that social and political experiences and attitudes may be associated with embitterment, but are not modifiable by short-term information.
Key words: embitterment, society, values, emotion induction
Prof. Dr. Beate Muschalla
Psychologische Psychotherapeutin und Supervisorin (VT)
Technische Universität Braunschweig, Psychotherapie und
Diagnostik
Humboldtstraße 33
38106 Braunschweig
b.muschalla@tu-braunschweig.de
M.Sc. Laura Lumma
Psychologische Psychotherapeutin in Ausbildung
Institut für Psychologische Psychotherapieausbildung
Bremen (IPP)
Grazer Straße 2b
28359 Bremen
Prof. Dr. Michael Linden
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie
und Psychotherapeut
Leiter der Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation
an der Charité Universitätsmedizin Berlin,
Hindenburgdamm 30, Haus IIIa, Raum 13/14
12200 Berlin
Michael.linden@charite.de
Parallelerfassung von Psychotherapie-Nebenwirkungen durch Patient und Therapeut in Routine- wie Ausbildungstherapien mittels der „UE-PT-Skala”
Michael Linden
Zusammenfassung
Psychotherapeuten müssen sich mit dem Thema der Nebenwirkungen auskennen, ihre Patienten darüber aufklären, Negativentwicklungen vorbeugen und Gegenmaßnahmen ergreifen, wenn Probleme erkennbar werden. Es gibt keine allgemeingültigen und evidenzbasierten Empfehlungen, wie dieses Thema in der klinischen Praxis anzugehen ist. Psychologische Probleme sind, dass manche Therapeuten sich schwer tun, Negativeffekte ihrer eigenen Therapie anzusprechen, und dass Patienten eine Scheu haben, gegenüber dem Therapeuten Negativwirkungen der laufenden Therapie anzusprechen. In Anlehnung an die international etablierte UE-ATR-Checkliste wurde die UE-PT-Skala (Unerwünschte Ereignisse in der Beurteilung durch Patient und Therapeut) entwickelt. Es wird nicht nach einzelnen spezifischen
Nebenwirkungen gefragt, sondern strukturiert die Aufmerksamkeit von Patient und/oder Therapeut auf fünfzehn Bereiche gelenkt, mit der Frage, ob dort unerwünschte Entwicklungen im Verlauf der Therapie vorkamen. Die Skala kann von Therapeut und Patient im Rahmen einer Therapiesitzung parallel ausgefüllt werden. Danach kann gemeinsam besprochen werden, was an spezifischen Negativereignissen vorgekommen ist. Es erfolgte eine qualitative und quantitative Auswertung von 38 Patient-Therapeuten-Paaren. Die Berichte der Therapeuten waren durchgehend positiv und zeigten, das mit dieser Methode das Thema Nebenwirkungen problemlos angesprochen und detailliert abgehandelt werden kann. Die Patienten reagieren darauf positiv. Ein Vergleich der Ratings von Patient und Therapeut ergab ein hohes Maß an Übereinstimmung. Am wenigsten Belastungen werden angegeben für die Bereiche Stigmatisierung und therapeutische Beziehung, am meisten für Probleme mit Therapieanforderungen, Therapieabhängigkeit und Problemaggravierung. Zusammenfassend klagten 10,5% der Patienten über schwere und 28,9% über deutliche Nebenwirkungen. Zusammenfassend ist die UE-PT-Skala ein Selbst- und Fremdratinginstrument, das ermöglicht, auf einfache und schnelle Art einen Überblick über Belastungen durch eine Psychotherapie zu bekommen. Sie kann für wissenschaftliche Studien oder im Rahmen einer Einzeltherapie genutzt werden und ermöglicht wiederholte Zusammenfassungen der Therapieentwicklung unter Nebenwirkungsgesichtspunkten, so wie es auch bzgl. der Hauptwirkungen zur therapeutischen Alltagspraxis gehören sollte.
Schlüsselwörter: Nebenwirkungen, unerwünschte Ereignisse, Therapeut-Patient-Beziehung, Qualitätssicherung, Verhaltenstherapie
Parallel recording of psychotherapy side effects by patient and therapist in routine as well as training therapies by means of the "UE-PT scale"
Abstract
Psychotherapy not only helps, but can also harm. Therapists need to be familiar with side effects, must inform their patients about risks, prevent negative developments and take countermeasures when problems become apparent. There is no generally accepted and evidence-based recommendation on how to address this issue in daily practice. Some therapists have difficulties in addressing negative effects of their own therapy and patients may be afraid to tell the therapist if something is going wrong. Based on the internationally established UE-ATR checklist, the UE-PT scale (Unwanted Events in the view
of Patient and Therapists) was developed. It does not ask for single specific side effects, but guides the attention of the patient and/or therapist in a structured way on fifteen areas where side effects may emerge.The scale can be filled in parallel by the therapist and the patient during a therapy session. It then can be discussed what specific negative events have happened. A qualitative and quantitative analysis of 38 patient-therapist-pairs showed that work with the scale was well accepted by therapists and patients. This method helps to address and cope with side effects in a simple way. Patients react cooperative and approving.
A comparison of the ratings of patients and therapists showed a high degree of agreement. Least problems are reported for stigmatization and problems with the therapeutic relationship, most frequent were problems with therapeutic requirements and aggravation of illness. Of all patients 10,5% complained about severe and another 28,9% about significant side effects. In summary, the UE-PT scale is a self and observer rating instrument that allows to get an overview of psychotherapy side effects, can be used in scientific studies or routine therapy, and allows repeated summaries of the therapeutic development under the perspective of side effects, similarly as it should regularly be done in regard to treatment progress.
Keywords: side effect, unwanted event, therapist-patient-relationship,quality assurance, behaviour therapy
Prof. Dr. Michael Linden
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie
und Psychotherapeut
Leiter der Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation
an der Charité Universitätsmedizin Berlin,
Hindenburgdamm 30, Haus IIIa, Raum 13/14
12200 Berlin
Michael.linden@charite.de
Praxis Klinische Verhaltensmedizin und Rehabilitation
34. Jahrgang • 2021 • Heft 4 (116)
Pabst, 2021
ISSN 0933-842X
Preis: 14,- €