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Willensfreiheit, Begriffsverwirrung und eine chaotische Praxis der Forensik

Die Neurobiologie sieht den freien Willen als dimensionale Variable, die mehr oder weniger vorliegen, im Extremfall jedoch fehlen kann. Für den Philosophen Ludwig Wittgenstein ist Willensfreiheit ein "Sprachspiel". Was bedeutet dies für Straftäter, ihre Schuldfähigkeit, Therapie und Legalprognose? Thomas Thalmann reflektiert die kritischen Fragen in einer psychologisch-philosophischen Monografie nach einem 34jährigen Berufsleben als Psychologe im sozialtherapeutischen Strafvollzug.

Der Autor gibt kritisch zu bedenken:"Die Zuschreibung einer Willensfreiheit folgt einer Praxis, die intransparent (implizit), chaotisch und willkürlich ist. Im Grunde beginnt es mit einer Art Sündenfall zwischen Hauptverhandlung und Strafvollzug. Tätern, die laut Urteilsfeststellung nach Maßgabe ihres freien Willens anders hätten handeln können, wird nachfolgend die Fähigkeit abgesprochen, ein Leben ohne Straftaten zu führen. In Fortsetzung dieses Sündenfalls kommt es anschließend in der Straftäterbehandlung zu einem Oszillieren zwischen Verantwortungszuschreibung und Defizitzuschreibung. Wird das Verhalten des Probanden bei dem einen Anlass als Handeln interpretiert, das freier Willensbestimmung folgt, so wird darin beim nächsten Mal der symptomatische Ausdruck einer psychischen Fehlfunktion gesehen. Dabei kommt es vor, dass die Behandelnden es selber nicht wissen. 

 

In diesen Zusammenhang gehört auch die Beobachtung, dass in Prognosegutachten immer wieder plötzlich der freie Wille des Probanden ins Spiel gebracht wird. Dies geschieht gerne bei ich-starken, intellektuell differenzierten Probanden, über die es dann heißt, letztlich unterliege die Frage Rückfall oder Deliktfreiheit der freien Entscheidung des Betreffenden - was die Prognosesicherheit in der Regel herabsetzt. Anlässlich solcher Feststellungen fragt man sich, ob nicht bei schuldfähigen Straftätern grundsätzlich davon auszugehen ist, dass der freie Wille über die Legalbewährung entscheidet." 

 

Thalmann stellt die Kernfrage, "ob wir nicht den Blick für eine vernünftige Indikation in der Straftäterbehandlung, für ihre Grenzen und philosophische Begründung verloren haben. Es besteht der Anfangsverdacht, dass implizite Begriffsverwirrung eine chaotische Praxis auf den realen Ebenen von Diagnostik, Prognostik und behandlerischem Vorgehen nach sich zieht. Im Zentrum dieser Begriffsverwirrung steht sicherlich das Konzept des freien Willens. Dessen Implikationen für Theorie und Praxis der Straftäterbehandlung sollen in den vorliegenden Erörterungen erhellt werden."

 

Thomas Thalmann: Freier Wille und Therapie.
Erörterungen zu Sprachspiel und Handlungslogik in der Straftäterbehandlung.

Pabst, 270 Seiten. Paperback ISBN 978-3-95853-747-7, eBook 978-3-95853-748-4

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Lasar, M.: Wille, Handlungskontrolle und chronische Schizophrenie
Pabst,  220 Seiten, ISBN  978-3-933151-16-2

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