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Zweckrationalisierung der Psychotherapie kann die Offenheit für den Sinn einer psychischen Störung gefährden

Bildgebungstechnologien wie fMRT und PET haben zu einer verstärkten Relevanz der Neurowissenschaften in der Psychotherapieforschung geführt. Matthias Richter (Heidelberg) beleuchtet den Einfluss der Neurowissenschaften auf die psychotherapeutische Praxis kritisch. Im Journal für Philosophie und Psychiatrie erläutert er, "dass im Zuge dieser Entwicklung Psychotherapie zunehmend als regelgeleitete Herstellung eines psychophysischen Zustandes konzipiert wird. Dies aber entspricht einer 'Zweckrationalisierung' der psychotherapeutischen Tätigkeit und könnte die Offenheit für den personalen Sinn psychischer Störung gefährden. Um dem zu entgegnen, bedarf es einer Verständigung darüber, was wir eigentlich meinen, wenn wir von 'Personen' als Teilnehmer der Psychotherapie sprechen. Dies führt zu der Bedeutung und Vorrangigkeit der zwischenmenschlichen Praxis gegenüber dem zweckrationalen Denken. Dabei erweist es sich als sinnvoll, unter Bezug auf Martin Heideggers Wissenschaftskritik Psychotherapie als "Kunst der Begegnung" zu verstehen.

Die Argumentation setzt ein mit der Unterscheidung von 'Person' als Teilnehmer der psychotherapeutischen Praxis und 'psychophysischem Zustand' als Gegenstand der Neurowissenschaften. Diese Differenzierung ermöglicht dann die Bestimmung eines sinnvollen pragmatischen Gefüges beider Bereiche zueinander.

Weiter wird gezeigt, inwiefern der Einsatz der Neurowissenschaften in der Psychotherapie die innere Tendenz einer Zweckrationalisierung der psychotherapeutischen Praxis mit sich bringt.
Martin Heidegger hat diese Kopplung von wissenschaftlichem Weltbild und zweckrationalem Handeln als neuzeitliche Fixierung auf einen spezifischen Weltzugang und damit auch einer spezifischen Seinsweise des Menschen verstanden.

Angesichts dieser Fixierung empfiehlt Heidegger die 'Besinnung' auf andere mögliche Seinsweisen. Dies gelingt ihm anhand seiner Herleitung und Gegenüberstellung der zweckrationalen "Technik" zu dem künstlerischen Handlungsbegriff 'Techne' in der griechischen Klassik."

Im Anschluss skizziert Richter, inwiefern der existentielle Personenbegriff nach Robert Spaemann zu einer solchen Besinnung innerhalb der Psychotherapie beizutragen vermag. Hierbei bestätigt sich die Trefflichkeit von Heideggers künstlerischem Handlungsbegriff insbesondere für die psychotherapeutische Praxis.

Am Ende seiner ausführlichen Reflexion resümiert Richter:

"Zum einen macht Heidegger nachvollziehbar, warum wir heute so eingefahren in ein Denken und Handeln sind, von dem wir bereits wissen, dass es zur ökologischen und sozialen Katastrophe führen kann. Zum anderen gelingt ihm mit der Betonung der Offenheit für andere Seinsweisen diese Kritik, ohne in einen traditionellen Essentialismus im Sinne einer gottgegebenen Natur zu verfallen. Heideggers geschichtliche Reflexion des verlorengegangenen Sinns für eine Existenz jenseits der herrschenden zweckrationalen Vorstellungen zeigt die Wissenschaftsgläubigkeit und Machbarkeitsphantasien, ein gutes Leben durch Regelungen und Verfahren gewährleisten zu können, in ihrer Absurdität und Nachvollziehbarkeit gleichermaßen.
 
Sofern Zwecke und Funktionen der Psychotherapie nicht nur durch die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse diktiert werden sollen, sondern Psychotherapie auch die emanzipatorische Frage nach einem guten Leben einschließen möchte, bietet Heidegger einen inspirierenden und bisher unausgeschöpften Ansatz der Wissenschaftskritik."




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