Beispiel: Statt einer wissenschaftlich ausgefeilten Diagnostik werden für die Personalauswahl beispielsweise Bauklötzchen offeriert: "Lego hat in diesem Spiel die Nase vorn, nicht nur, weil die Spielelemente sehr vielfältig sind, sondern auch, weil das Unternehmen unter dem Label ´Lego Serious Play´ eigene Editionen zum Einsatz in der Personalarbeit anbietet. Mehr noch, wer nichts Besseres zu tun hat, kann sich hier sogar zu einer Art ´Lego-Coach´ ausbilden lassen. ... Der Einsatz in der Personalauswahl ist schlichtweg Unfug und zeugt von einer völligen Unkenntnis der - über Jahrzehnte in der Forschung gesammelten - Erkenntnisse. Das Vorgehen spiegelt in hervorragender Weise Laienvorstellungen guter Diagnostik, wie sie sich auch in schlechten Einstellungsinterviews oder unprofessionellen Assessment Centern finden lassen."
Weit verbreitet bei Personalberatern ist das altehrwürdie Enneagramm - ein Neuneck in einem Kreis. "Im Kern geht es darum, dass neun grundlegende Persönlichkeitstypen unterschieden werden, die in einer bestimmten Beziehung zueinander stehen sollen. Die Beziehung wiederum wird durch ein Symbol ausgedrückt, das auch jenseits des Persönlichkeitsmodells in der Esoterik Verwendung findet. Jeder Zahl wird ein bestimmter Persönlichkeitstypus zugeordnet. Dabei ist weder bekannt, wie es genau zu der Auswahl der Persönlichkeitstypen, noch wie es zu ihrer Anordnung entlang des Kreises gekommen ist," noch besteht in der Enneagramm-Literatur Einigkeit, wie genau die Persönlichkeitstypen zu definieren sind. Es entstehen mathematische Zahlenmystiken, die auf Enneagramm-Anwender eine gewissen Fazszination ausüben und eine übersinnliche Geltungskraft suggerieren.
"Würde es sich beim Enneagramm einfach nur um eine Auflistung von neun Persönlichkeitsmerkmalen handeln," würde Kanning es nicht beanstanden. "Selbstverständlich ist es legitim, sich ein Persönlichkeitsmodell auszudenken Erst die Konzeption als Typologie mit sehr zahlreichen und weitgehenden Hypothesen, die allesamt durch nichts bestätigt sind, ja größtenteils nicht mal Plausibilität für sich beanspruchen können, lässt den Ansatz als zwielichtig erscheinen. Die große Popularität des Enneagramms steht in einem völligen Widerspruch zu seiner Qualität. ... Die Vermarktung von Enneagrammen führt Klienten eher aufs Glatteis, als dass man professionelle Unterstützung bieten könnte..."
Dennoch sind Enneagramm-Ausbildungen für Möchtegern-Coaches auf dem Markt. Professor Kanning kommentiert: "Wem eine komplette Coaching-Ausbildung zu viel ist, der kann es ja erstmal mit einem reinen Enneagramm-Seminar versuchen. Drei Tage sind für die überaus komplexe Materie allerdings schon einzuplanen. Dafür stimmt der Preis. Nur 310 Euro müssen hierfür auf den Tisch gelegt werden. Menschen, die sich in beruflicher Neuorientierung befinden, können mit einer Bildungscheck-förderung zudem bis zu 50% einsparen. Wie gut, dass der Sozialstaat Menschen in Not auf diesem Weg eine wirklich sinnvolle Ausbildungsperspektive ermöglicht. Bei derselben Anbieterin findet man übrigens viele weitere Ausbildungsseminare, die eine ähnlich glänzende berufliche Zukunft versprechen: NLP, Hypnose, energetische Psychologie, Mental Coaching ..."
Uwe Kanning: Wider alle Vernunft - Coaching und HR-Management auf Abwegen.
Pabst, 348 S., Paperback ISBN 978-3-95853-812-2, eBook ISBN 978-3-95853-813-9