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Wirtschaftspsychologie: Bei Online-Shopping sinkt die Kontrolle über das Einkaufsverhalten

Dr. Mira Fauth-Bühler ist Professorin für Wirtschaftspsychologie und Neuroökonomie an der FOM Hochschule in Stuttgart.

14 09. 2022 Wirtschaftspsychologie: Sparen und Investieren liegen nicht in der Natur des Menschen, erklärt Prof. Dr. Mira Fauth-Bühler von der FOM Hochschule in Stuttgart. Zur Erreichung langfristiger Ziele musste unser Gehirn erst ein Kontrollsystem entwickeln, um der kurzfristigen Belohnung zu widerstehen. Warum Frauen umsichtiger mit Geld umgehen, welchen Einfluss Krisen auf das Sparverhalten haben und welche Tipps sie für verantwortungsbewusstes Geldausgeben hat, verrät die Wirtschaftspsychologin im Interview.

Frau Professor Fauth-Bühler, ist der Mensch ausgehend von seiner Biologie überhaupt zum Sparen geschaffen?

Prof. Dr. Mira Fauth-Bühler: Evolutionsbiologisch betrachtet geht es zunächst darum, dass wir im Hier und Jetzt überleben. Wir essen, wenn wir Hunger haben. Wir trinken, wenn wir Durst haben. Diese Bedürfnisse befriedigen wir, um zu überleben. Geschieht dies, werden von unserem Gehirn Dopamin und weitere Botenstoffe ausgeschüttet, die eine sofortige Belohnung und das Verlangen nach mehr signalisieren. Deshalb ist unser Gehirn aus evolutionärer Sicht nicht auf Verhaltensweisen wie Sparen und Investieren ausgerichtet, weil dann die kurzfristige Belohnung zugunsten eines langfristigen Ziels entfällt. Um langfristige Sparziele zu erreichen, müssen wir Impulse, die eine sofortige Belohnung versprechen, unterdrücken. Diese Fähigkeit wird von einem entwicklungsgeschichtlich jungen Hirnbereich gesteuert, dem Präfrontalen Kortex. Dieses Kontrollzentrum ist auch der Teil unseres Gehirns, der am längsten für die vollständige Entwicklung und Reifung braucht und erst mit Mitte 20 voll vernetzt beziehungsweise funktionstüchtig ist. Vereinfacht gesagt geht es bei einer Entscheidung für oder gegen das Sparen also um einen „Kampf“ zwischen Belohnungssystem und Kontrollzentrum.

Was passiert denn in unserem Gehirn, wenn wir Geld für „schöne“ Dinge ausgeben?

Schöne Dinge, wie guter Wein oder ein neues Kleid, aktivieren unser Belohnungssystem im Gehirn. Bereits die Möglichkeit diese Belohnung zu erhalten, also zum Beispiel der Anblick meines Lieblingsrestaurants lässt das Belohnungssystem Dopamin ausschütten. Das bewirkt, dass Verlangen entsteht und die entsprechenden Handlungen umgesetzt werden, um unsere Wünsche wahrwerden zu lassen. Gleichzeitig muss der Verlust des Geldes gegengerechnet werden. Dabei kommt ein anderer Bereich des Gehirns – die Inselrinde – ins Spiel. Dieser Teil ist unter anderem für die Schmerzverarbeitung zuständig. Empfindet man einen Preis als – wörtlich und neurologisch – schmerzhaft hoch, ist die Insula aktiv und der Kauf wird weniger wahrscheinlich. Leichter fällt eine Kaufentscheidung deshalb bei unerwarteten Belohnungen, die etwa in Form von Schnäppchen eintreten.

Wissenschaftliche Befunde legen nahe, dass Frauen besser sparen können als Männer. Woran liegt das?

Bildgebungsstudien haben gezeigt, dass Frauen einen größeren Präfrontalen Kortex besitzen als Männer. Ein ausgeprägtes Kontrollsystem ermöglicht es, riskante und impulsive Käufe besser zu unterdrücken und somit Geld zu sparen. Dies könnte ebenfalls evolutionsbiologisch erklärbar sein, da Frauen früher beispielweise Vorräte für die Versorgung der Kinder anlegen mussten, während die Männer draußen in der Wildnis jagten.

Sind wir also dem Erbe unserer Vorfahren ausgeliefert?

Das Gehirn ist plastisch und die Vernetzung der Nervenzellen verändert sich ständig entsprechend den Umweltanforderungen. Auch unsere Verhaltenskontrolle können wir trainieren. Andersherum gilt: „Use it or loose it“ – Verbindungen zwischen Nervenzellen bilden sich zurück, wenn sie nicht genutzt werden. Bei Kindern verläuft die Vernetzung innerhalb des Gehirns schneller als bei Erwachsenen, aber der Erwerb neuer Fertigkeiten ist dennoch bis ins hohe Alter möglich.

Haben Sie abseits von diesem medizinischen Befund ein paar handfeste Tipps, wie das Sparen gelingen kann?

Neurobiologisch betrachtet macht es beispielsweise Sinn, mit einem klaren Plan einkaufen zu gehen. So entsteht erst gar nicht die Versuchung, Schnäppchen zu kaufen, die eigentlich nicht benötigt werden. Man sollte auch nicht Einkaufen gehen, um negative Emotionen zu regulieren. Besser wäre es, andere Dinge und Tätigkeiten zu identifizieren, die einen aufmuntern, aber nichts kosten: etwa ein Waldspaziergang. Zudem spielt der Faktor Zeit eine wichtige Rolle. Wer sich bei der Entscheidung für oder gegen einen Kauf Zeit nimmt, aktiviert den Präfrontalen Kortex. Wir reflektieren, wägen ab und schieben dem automatisierten Reiz-Reaktions-Mechanismus einen Riegel vor.

Welche Bedeutung kommt dem Bezahlvorgang aus psychologischer Sicht zu?

Wird bargeldlos mit der Kreditkarte oder dem Smartphone eingekauft, entfällt ein Teil des Schmerzempfindens. Allgemein gilt: Besser im Laden shoppen als online, da bei letzterem eine größere Gefahr besteht, die Kontrolle über das Einkaufsverhalten zu verlieren. Beim Online-Shopping ist es einfach, Dopaminkicks in kurzen Zeitabständen zu erzeugen, da viele Produkte in kurzer Zeit bestellt werden können. Durch eine hohe Ereignisfrequenz – also viele Belohnungen schnell hintereinander – entsteht ein hohes Suchtpotenzial, ähnlich wie dies bei Glücksspielautomaten beobachtet werden kann. Dopaminkicks suggerieren dann: Es läuft besser als erwartet. Ein persönlich gesetztes Limit kann da helfen.

Aus aktuellem Anlass: Lässt sich eruieren, wie Kriege und Krisen das Sparverhalten beeinflussen?

Das Sparverhalten ist tatsächlich nicht unveränderlich. Die Werte haben sich in der Coronakrise verändert. Es geht weniger um Hedonismus, sondern mehr um Sicherheit und Stabilität. Gewisse Konsumgüter werden dementsprechend weniger nachgefragt. Es ist sicherlich noch zu früh, um die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und des Ukraine-Krieges auf unser Sparverhalten langfristig zu quantifizieren. Es scheint jedoch wahrscheinlich, dass sich krisenbedingte Veränderungen in unserem Wertesystem – zumindest mittelfristig – in unseren Spar- und Ausgabegewohnheiten niederschlagen werden.





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