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Wenn die Pubertät im Spitzensport zur Krise wird

Für Nachwuchsathleten ist die Pubertät eine problematische Zeit: Der Körper verändert sich grundlegend, und für Jugendliche besteht in der Wachstumsphase Überlastungsgefahr. Dies hat nicht allein biologische Ursachen, wie nun eine Studie am Institut für Sportwissenschaft (IfS) der Universität Tübingen zeigt. Die Probleme seien auch auf Defizite in den Förderstrukturen des Nachwuchs-Spitzensports und auf problematische Trainingspraktiken zurückzuführen, sagt die Sportwissenschaftlerin Dr. Astrid Schubring. Eine Rolle spielten zudem die im Leistungssport verbreitete Bereitschaft, gesundheitliche Risiken in Kauf zu nehmen, sowie fehlendes Wissen der Jugendlichen selbst.

In ihrer Dissertation "Wachstum als Herausforderung - Soziologische Analysen des Wachstumsmanagements jugendlicher Spitzenathleten und Nachwuchstrainer" wirft Astrid Schubring einen neuen Blick auf ein Thema, das aus medizinischer und trainingswissenschaftlicher Sicht bereits gut erforscht ist: Sie untersucht, wie die jungen Sportlerinnen und Sportler, die zwischen 12 und 30 Stunden in der Woche trainieren und in ihrer Altersklasse zu den besten in Deutschland zählen, die Wachstumsphase selbst erleben. Für ihre Arbeit zeichnete die Universität Tübingen sie mit dem Promotionspreis 2015 aus.

Von begabten Nachwuchssportlern werde erwartet, ihren Körper im Griff zu haben, sagt Schubring. Die körperlichen und psychischen Veränderungen der Pubertät könnten so zur Krise werden ‒ besonders weil Sportler sich gerade in dieser Zeit für einen Platz im leistungssportlichen Fördersystem bewähren müssten. Für ihre Dissertation führte die Wissenschaftlerin Interviews mit insgesamt 24 Athletinnen und Athleten, begleitete diese im Training und bei Wettkämpfen. Die 14- bis 18-Jährigen kamen aus den Sportarten Biathlon, Handball, Kunstturnen und Ringen. Zur Studie gehörten auch ausführliche Gespräche mit 16 Trainern auf Bundes- und Landesebene. "Nachwuchsathleten erleben die Wachstumsphase vor allem dann als Krise, wenn ihr Körper sich nicht gemäß dem Ideal ihrer Sportart entwickelt, wenn die Leistungsentwicklung stagniert, wenn Überlastungsbeschwerden oder Verletzungen auftreten." Um erfolgreich zu sein, griffen sie häufig auf dysfunktionale Bewältigungsstrategien zurück, indem sie ihr Trainingspensum in Eigenregie erhöhten, sich Selbstvorwürfe machten oder Symptome medikamentös behandelten.

Probleme beobachtete die Sportwissenschaftlerin auch bei Karriereübergängen wie dem Wechsel in eine andere Förderstruktur oder Trainingsgruppe. Wechselten Jugendliche beispielsweise vom Heimatverein an einen Stützpunkt, seien sie oft nicht ausreichend auf neue Herausforderungen, wie intensiveres Training, erhöhter Leistungsdruck und stärkere Konkurrenz, vorbereitet. Auch sei die medizinische Betreuung im Nachwuchsbereich defizitär, beispielsweise verfüge nicht jeder Verband über physiotherapeutische Betreuung bei Nachwuchslehrgängen. Förderkriterien stünden einem langfristigen Leistungsaufbau im Nachwuchsbereich oft entgegen, beispielsweise wenn Mittel leistungsbezogen vergeben würden. So würden Athleten auf Wettkämpfe vorbereitet werden, erzählte ein Trainer im Interview, "die für sie in der puberalen Phase eigentlich Gift sind". Wie die Interviews zeigten, unterschätzten Nachwuchsathleten öfters körperliche Beschwerden, blendeten langfristige Gesundheitsfolgen aus oder verschwiegen Schmerzen. Ohnehin sei das Herunterspielen und Ignorieren von Schmerzen im Leistungssport weit verbreitet. "Jugendliche passen sich hier einer Kultur an, die gesundheitliche Risiken für Spitzenleistungen in Kauf nimmt."

Um den deutschen Nachwuchsleistungssport nachhaltiger zu gestalten, empfiehlt Schubring auch das soziale Umfeld und Förderstrukturen einzuschließen. Trainingsintensitäten und Wettkampfteil-nahmen müssen bereits im Nachwuchsbereich stärker individualisiert werden, die Durchlässigkeit zwischen Altersklassen und Sportarten erhöht, die medizinische und physiotherapeutische Betreuung verbessert werden. "Nachwuchsathlet/innen sollten gerade beim Übergang in den Bundeskader oder in die Nationalmannschaft systematisch betreut und in Wachstumsschüben regelmäßig untersucht werden." Trainer könnten durch Gespräche und eine offene Atmosphäre helfen, Schmerzen und Gesundheitsprobleme frühzeitig anzusprechen. Nicht zuletzt seien Verbände gefordert, mehr in Weiterbildung und berufliche Sicherheiten der Trainer zu investieren und Trainingskonzepte für eine langfristige Leistungsentwicklung zu unterstützen. Strukturelle Anreize könnten diese im Nachwuchsbereich für Verbände, Trainer und Stützpunkte attraktiv machen.

Astrid Schubring hat an der Universität Tübingen Sportwissenschaft und Empirische Kulturwissenschaft studiert. 2009-2014 war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sportwissenschaft der Universität Tübingen und arbeitete in dem vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) geförderten Forschungsprojekt "Individuelles Gesundheitsmanagement im olympischen Nachwuchs-leistungssport (GOAL)" unter Leitung von Prof. Dr. Ansgar Thiel. Seit 2014 ist Astrid Schubring Senior Lecturer am "Institute of Food, Nutrition, and Sport Science" (IKI) der Universität Göteborg (Schweden).




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