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Suizid in Haft: Moderne, humane Möglichkeiten der Prävention

In der Zelle von Thomas Middelhoff wurde während der ersten vier Wochen der Untersuchungshaft nachts etwa alle 15 Minuten das Licht kurzfristig eingeschaltet; gleichzeitig warf ein Wärter einen Blick in den Raum. Nach Angaben der Vollzugsbehörde in Essen diente die Maßnahme der Suizidprävention. Psychiater und Psychologen belegen schwere gesundheitliche Folgen einer derartigen Form des chronischen Schlafentzugs. In Unrechtsstaaten wird er systematisch eingesetzt, um Gefangene zu zermürben. Die Psychologen Dr. Katharina Bennefeld-Kersten, Dr. Maike Breuer, Prof. Dr. Johannes Lohner und Dr. Willi Pecher empfehlen demgegenüber ein verträgliches, konstruktives Vorgehen. Details beschreiben sie in ihrem neu vorgelegten Sachbuch "Frei Tod? Selbst Mord? Bilanz Suizid?"

"Chronischer Schlafentzug hat eine Reihe von gesundheitlichen Konsequenzen: Am offensichtlichsten sind die starke Müdigkeit und die Schwierigkeit, sich zu konzentrieren. Daneben beeinträchtigt Schlafmangel auch die Gedächtnisleistung, zumal neue Erfahrungen während des Schlafs gespeichert werden. Ferner führt er zu Entgleisungen des Zuckerstoffwechsels und begünstigt damit das Entstehen eines Diabetes," skizziert der Psychiater Prof. Dr. Thomas Pollmächer. Als weitere Folgewirkung sieht er Störungen des Immunsystems, d.h. eine Kette zusätzlicher Erkrankungen.
 
Vor allem in den ersten Tagen der Untersuchungshaft kann die Suizidgefahr groß sein, insbesondere dann, wenn Betroffene bereits zuvor an Selbsttötung gedacht haben und/oder von Mitgefangenen drangsaliert werden.
 
Dr. Katharina Bennefeld-Kersten, ehemals selbst Gefängnisdirektorin, hat in Niedersachsen ein erfolgreiches Projekt der Suizid-Prävention wissenschaftlich begleitet: Nachts steht Gefangenen eine Telefonseelsorge zur Verfügung. Die Seelsorger sind - im Gegensatz zum Justizvollzugs-Personal - zu voller Verschwiegenheit verpflichtet und bleiben weit entfernt, anonym; daher sind offenere, tiefer gehende Gespräche möglich, allerdings nicht die Regel. Viele Telefonate sind sehr kurz und dienen nur dazu, für einen Moment aus der Isolation der Zelle auszubrechen. "Dabei scheint es den Seelsorgern oft zu gelingen, Anrufer in einer kritischen Zeit wieder in den Kreis der wertgeschätzten Mitmenschen zu holen", bilanziert Katharina Bennefeld-Kersten ihre Studie. U. U. findet überhaupt kein Telefonat statt; doch allein die Möglichkeit eines Telefongesprächs kann auf Gefangene gleichsam wie ein offener Türspalt entlastend wirken.     
 
Maike Breuer und Willi Pecher berichten über ihr "Listener-Projekt" in Bayern: Psychisch und sozial stabilere Häftlinge werden als "Listener" geschult und in die Zelle eines neuen, suizidgefährdeten Häftlings verlegt. Wie die Befragung der Betroffenen zeigte, gewinnen fast immer beide Seiten: Die Novizen sind dankbar, einen Zuhörer, Informanten und Berater an ihrer Seite zu haben. Beim Listener sehen die Psychologen meist eine Stärkung des Selbstwerterlebens und der prosozialen Werte. Die "Erweiterung des Handlungsfeldes" kann für den Listener in seiner Persönlichkeitsentwicklung therapeutisch wirksam werden ...
 
Katharina Bennefeld-Kersten lässt am Lebensrecht von Gefangenen keine Zweifel: "Der besondere Aufwand, der in einem Gefängnis zur Verhinderung von Suiziden betrieben werden muss, ist kein sozial ambitionierter Luxus - und seine Notwendigkeit nicht von sogenannten Gutmenschen erdacht. Alle Vollzugsbediensteten haben aufgrund ihrer besonderen Verantwortung für die Gefangenen eine beruflich begründete und strafrechtlich verfolgbare Garantenstellung..."

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