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Süchtige Literaten: "Das bisschen Schnapstrinken ..."

Sucht: Wenn substanzabhängige Kranke in "trockenen", klaren Phasen Ereignisse ihrer Sucht beschreiben, breiten sie oft den "Schleier des Erbarmens" über sich selbst aus. Für den polytoxikomanen Hans Fallada hatten seine eigenen - ebenso faszinierenden wie faszinierten - Texte "zeitweise sicherlich eine kathartische Wirkung", urteilt Dr. Hugo von Keyserlingk. In seiner Studie "Liebe, Leben, Alkohol" reflektiert der Therapeut "Suchtkrankheiten im Spiegel der deutschen Literatur".

Seinen Trinker Erwin Sommer lässt Hans Fallada nach der Einlieferung in die stationäre Entzugsbehandlung selbstmitleidig resümieren: "Ich bin in der Hölle ... Ich habe eine kurze Zeit gesündigt, und ich werde dafür lange Zeit unglaublich hart bestraft. Aber man hätte es wissen müssen, bevor man sündigte, wie hart die Strafe ausfällt. Es hätte einem vorher gesagt werden müssen, dann hätte man nicht gesündigt ... Gott, das bisschen Schnapstrinken, ist das nun wirklich so schlimm? Diese Kabbelei mit Magda - nun gut, juristisch haben sie eine Bedrohung daraus gemacht, aber muss ich darum bei lebendigem Leib in der Hölle sein?"
 
Hans Fallada notierte die Frage während seines Aufenthalts im Maßregelvollzug in Neustrelitz, nachdem er im Disput mit seiner Frau seinen Revolver gezogen und einen ungezielten Schuss abgegeben hatte.
 
Die Jahre in Haft- oder Krankenanstalten konnte Fallada nicht ohne Nikotin überstehen, doch auf andere Substanzen konnte er verzichten: "Als ich verhaftet auf meine Zelle gebracht wurde, erfüllte mich ein verzehrender Durst nach Alkohol. Ich hatte seit fünf oder sechs Stunden nichts mehr getrunken, und ich meinte, krepieren zu müssen, wenn ich keinen Alkohol bekam. Kaum konnte ich den Morgen erwarten, um mich zum Arzt zu melden. Aber als dann der Morgen mit seinem braunen Kaffeewasser und dem trockenen Kanten Brot kam, meldete ich mich doch nicht. Irgendwie hatte das Milieu meinen Widerstand wachgerufen. Ich wollte keinen Alkohol mehr, ich wollte jetzt eine lange Haft, um mich auf Dauer vom Alkohol freizumachen ..."
 
Für eine beträchtliche Zeit gelang es Fallada. Während seiner "trockenen" Jahre hinter Schloss und Riegel schrieb er wie im Rausch seine Meisterwerke.
 
In der geschlossenen Station der Charite Berlin diagnostizierte er, inzwischen unter einer Alkoholintoleranz leidend, seine Entwicklungsdefizite: "Irgendetwas ist in mir nie ganz fertig geworden, irgendetwas fehlt mir, so dass ich kein richtiger Mann bin, nur ein alt gewordener Mensch, ein alt gewordener Gymnasiast..."
 
Hugo von Keyserlingk referiert und reflektiert Texte von Bertolt Brecht, Hans Fallada, Dietrich Grabbe, Gerhard Hauptmann, Arno Holz, Fritz Reuter u.a.. Viele Details vermitteln unmittelbare Einblicke in das Suchtgeschehen, die nur der autobiographischen Literatur möglich sind.

Liebe Leben Alkohol – Suchtkrankheiten im Spiegel deutscher Literatur
von Keyserlingk, Hugo




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