Die Zurückhaltung liegt u.a. an der Sozialisation: Die meisten Muslime wachsen in traditionellen kollektivistischen Gesellschaften auf; und von Mitgliedern des Kollektivs wird erwartet, individuelle Themen (darunter auch psychische Beschwerden) zugunsten der Großfamilie zurückzustellen. Streng Gläubige wenden sich darüber hinaus eher traditionellen und religiösen Behandlungsmethoden zu, also spirituellen oder religiösen Heilern.
Befinden sich Muslime allerdings in Psychotherapie, werden professionelle (auch nicht-muslimische) Behandler durchaus gut toleriert und respektiert. Für eine optimale Zusammenarbeit ist es sinnvoll, wenn TherapeutInnen Werte, Normen und Traditionen des Islam kennen und berücksichtigen. Eine solche "kultursensible Psychotherapie"
- führt zu gegenseitiger Akzeptanz,
- verhindert eine Stigmatisierung des Patienten,
- ermöglicht, die kulturell geprägte Krankheitsverarbeitung zu verstehen und
- dementsprechend die Therapie sinnvoll zu planen.
Wie Bransi berichtet, bestehen bei Moslems gegenüber psychoanalytischen und gruppentherapeutischen Verfahren u.U. Vorbehalte. Erfolgversprechend sind demgegenüber "v.a. modifizierte kognitive Interventionen, die islamische Denk- und Sichtweisen in die Behandlung integrieren. Dies kann z.B. durch die Verwendung von Metaphern aus dem Koran oder Metaphern aus dem Leben des Propheten erfolgen." Spirituell modifizierte Kognitive Verhaltenstherapie, die islamische Elemente integriert, kann z.B. bei Angststörungen, Depression oder Trauer heilsam wirken.
Religiöse und spirituelle Hintergründe von PatientInnen und TherapeutInnen sind - unabhängig von der religiösen und weltanschaulichen Orientierung, u.U. auch bei Atheisten - oft unbewusste, aber grundsätzlich wirksame Elemente der Psychotherapie. Im Sammelband "Spiritualität in Psychiatrie und Psychotherapie" werden alle Weltreligionen reflektiert - inclusive "außergewöhnlichen Erfahrungen", Klinikseelsorge u.a..
Spiritualität in Psychiatrie & Psychotherapie
Juckel, Georg; Hoffmann, Knut; Walach, Harald (Hrsg.)