Die beiden Wissenschaftler aus der Pädagogischen Psychologie Dr. Anett Wolgast und Dr. Matthias Donat von der MLU wollten herausfinden, ob es Unterschiede im Umgang mit dem Thema zwischen verschiedenen Länderkulturen und zwischen Jungen und Mädchen gibt. Hierfür verglichen sie Daten der Weltgesundheitsorganisation WHO, die im Rahmen einer groß angelegten Studie über mehrere Jahre hinweg pro Land etwa 3.000 Jugendliche zu ihrem Leben befragt hat. Dazu gehörten Angaben dazu, welche Erfahrungen die Jugendlichen bereits mit der Schikane durch ihre Klassenkameraden gemacht haben, aber auch zum Alkohol- und Tabakkonsum, zu psychosomatischen Beschwerden sowie dazu, wie leicht es den Befragten fällt, mit ihren Freunden zu sprechen und wie sie den sozialen Rückhalt ihrer Klassenkameraden einschätzen.
Für die Studie analysierten die beiden Wissenschaftler die Antworten von Jugendlichen aus Deutschland, Griechenland und den USA aus verschiedenen Erhebungszeiträumen. Die Länder hatten die Forscher ausgewählt, weil das Gruppengefühl in den drei Staaten sehr unterschiedlich ausgeprägt ist: Die USA seien demnach eher individualistisch, Griechenland eher kollektivistisch geprägt und Deutschland liege in etwa in der Mitte. Bei der Analyse zeigte sich, dass die Probleme und das Verhalten der Jugendlichen in allen drei Ländern ähnlich sind. Etwa neun Prozent der Jungen und Mädchen hatten wiederholt physische oder psychische Angriffe durch ihre Klassenkameraden erlebt. "Keines der drei Länder kann als Vorbild für den Umgang mit dem Problem dienen. Diese Stabilität über kulturelle und zeitliche Grenzen hinweg hat uns erschrocken", sagt Anett Wolgast.
Die Forscher wollten zudem den Zusammenhang zwischen der Schikane durch Mitschülerinnen und -schüler und verschiedenen weiteren Faktoren beleuchten: Dabei ging es um das Risikoverhalten der Jugendlichen, speziell ihren Alkohol- und Tabakkonsum, und ob die Befragten unter psychosomatischen Beschwerden, wie Bauch-, Kopf- und Rückenschmerzen oder Niedergeschlagenheit, leiden. Außerdem analysierten die Wissenschaftler, wie Täter und Opfer mit ihrem sozialem Umfeld interagieren: Fällt es ihnen leicht, mit Freunden zu sprechen? Wie erleben sie den Rückhalt in ihrem sozialen Umfeld in der Schulklasse? Das Ergebnis: Jungen und Mädchen konsumieren ähnlich häufig Alkohol und rauchen, wenn sie Opfer von verbalen oder körperlichen Angriffen sind. "Mädchen neigen etwas mehr zum Internalisieren von Problemen, also etwa Bauch- oder Kopfschmerzen", ergänzt Wolgast.
Überrascht waren die beiden Wissenschaftler davon, dass sowohl Täter als auch Opfer über ähnliche Probleme mit ihrem Umfeld berichteten: Beiden fiel es schwer, mit Freunden oder Klassenkameraden zu sprechen. Zudem gaben beide Gruppen an, gefühlt wenig Unterstützung aus ihrem Umfeld zu erhalten. "Dass Täter und Opfer ähnliche Probleme haben, ist bemerkenswert. Aus diesem Befund könnten sich neue Präventionsstrategien ableiten lassen", so Wolgast weiter. Damit ist gemeint, dass bisherige Maßnahmen noch stärker darauf abzielen sollten, den Dialog unter Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, um so das Klassenklima zu verbessern. Das könne zum Beispiel über Regeln passieren, die die Schülerinnen und Schüler einer Klasse für sich selbst aufstellen. Hier sollte etwa die gegenseitige Unterstützung eine große Rolle spielen, so die Forscher abschließend.