Thalmann sieht die Tendenz, nach "Gießkannenprinzip Behandlung zu verordnen - immer auch aus der Angst heraus, deliktpräventive Maßnahmen fahrlässig vernachlässigt zu haben. Dabei verselbständigen sich derartige Trends und bekommen eine Eigendynamik. Auch im Falle uneingeschränkt schuldfähiger Straftäter ist bei hinreichend schwerwiegender Straftat ein Verzicht auf Behandlungsmaßnahmen kaum noch vorstellbar. Und so wird kräftig behandelt und in Gutachten überprüft, ob denn kräftig genug behandelt wurde." Der Gutachter wiederum ist besorgt, der Proband könnte ihn mit einem unerwarteten Rückfall blamieren, und empfiehlt sicherheitshalber die Weiterbehandlung.
"Auf diese Weise etablieren sich bei Behandlern, Gutachtern, aber auch Behandelten Wahrnehmungs- und Entscheidungsschemata, die in der Ausübung alltäglicher Praxis nicht mehr hinterfragt werden. Diese Zustände invalidieren jegliches sach- und fachgerechte Behandeln auf Therapeuten-Seite und jeden authentischen Vorsatz auf Probandenseite. Der Insasse wird dauerhaft defizitär gestellt. Letzte Unsicherheitsfaktoren, letzte Unwägbarkeiten lassen sich immer finden und liefern die Begründung, den Betreffenden im Patientenstatus zu halten. Da die diesbezüglichen Begründungen allesamt im Psychojargon formuliert sind, verfangen sich Behandler und Behandelte im Behandlungssprachspiel und finden nicht mehr hinaus.
Eben dieses Sprachspiel unterminiert den Status des Probanden als selbstverantwortliche Person und willensfreies Subjekt."
Thomas Thalmann: Freier Wille und Therapie.
Erörterungen zu Sprachspiel und Handlungslogik in der Straftäter-Behandlung.
Pabst, 270 S., Paperback ISBN 978-3-95853-747-7, e-Book ISBN 978-3-95853-748-4














