Warum wird in der Achtsamkeitstherapie und in der Meditation wesentlicher Wert darauf gelegt, "Gedankenwandern" zu vermeiden? Michalak: "Durch abdriftende Gedanken verlieren wir den Kontakt zur Gegenwart. Empirische Daten zeigen, dass Personen, die zu Gedankenwandern neigen, unglücklicher sind. Bei Menschen mit depressivem Störungsbild oder einer Angsterkrankung kann es sein, dass sie dadurch in eine ungünstige Gedanken- und Grübelspirale kommen. Selbst wenn ich an etwas Positives denke, ist das nicht besser, als wenn ich im Hier und Jetzt bin. Ich finde es aber problematisch, mit der Forderung nach dem Sein im Hier und Jetzt einen moralischen Imperativ zu verbinden. Ich würde das eher als Einladung sehen ..."
Michalak warnt vor der Gefahr, "dass Menschen, die nicht qualifiziert sind, die Achtsamkeit als ´Guru´ für persönliche Zwecke missbrauchen, um Leute an sich zu binden. Ich würde aber nicht sagen, Meditation kann nur anleiten, wer eine Approbation oder ein Diplom oder einen Master in Psychologie hat. Es kann auch Personen geben, die jenseits des Berufsbildes der Psychologie Meditation sehr gut und tief anleiten. Aber sie sollten im Bereich der psychischen Störungen ihre Grenzen sehen und ggfs. Hilfe von Psychologen holen."
In der derzeitigen "Achtsamkeits-Hype" sieht Michalak relevante Risiken: "Es gibt in Kliniken einen gewissen Druck, Elemente von Achtsamkeit anbieten zu müssen. Da gibt es dann auch Angebote von nicht ausreichend Qualifizierten ... Es entsteht auch die Annahme, man könne nur gute Therapie leisten, wenn man achtsamkeitsbasiert vorgeht. Das ist durch die Empirie nicht abgedeckt; denn wir können auf der Befundlage nicht sagen, dass achtsamkeitsbasierte Ansätze jetzt effektiver sind als die anderen evidenzbasierten Therapieen; sie scheinen in etwa gleich wirksam zu sein." Die Hype bewirkt, dass sich viele Therapeuten unter Druck fühlen, den achtsamkeitsbasierten Ansatz anzuwenden.