So erklärt sich, warum sich die weltweiten Erfolge bei der Bekämpfung der absoluten Armut kaum auf das subjektive Wohlbefinden niedergeschlagen haben - und warum in einem objektiv reichen Land wie Deutschland breite Teile der Bevölkerung mit ihrem Lebensstandard unzufrieden sind.
Das Gefühl der relativen Benachteiligung wirkt sich dabei nicht nur auf das subjektive Wohlbefinden, sondern auch auf objektiv messbare Indikatoren wie Gesundheit, Ausbildung oder Haushaltseinkommen aus. Erschwerend kommt hinzu, so Chen, dass benachteiligte Haushalte dazu tendieren, ihr Geld in Statussymbole statt in eine gesunde Lebensweise oder die eigene Bildung und die ihrer Kinder zu investieren. Hier könne die Politik ansetzen, indem sie durch Luxussteuern und andere Anreizmechanismen auf Verhaltensänderungen hinwirke.
Eine gezielte Förderung sozial benachteiligter Gruppen, etwa durch finanzielle oder psychologische Unterstützung, birgt hingegen die Gefahr der Stigmatisierung, die den gefühlten Statusnachteil noch vergrößern kann.
Vor allem müsse sich die Politik mehr dem Abbau der Ungleichheit widmen, statt sich auf die Generierung von absolutem Wachstum zu konzentrieren, rät Chen. Als Ergänzung zur definierten Armutsgrenze schlägt er einen Indikator für relative Armut vor, der als Grundlage für ein rechtzeitiges Gegensteuern der Politik dienen könnte. Bei Umverteilungsmaßnahmen, die der sozialen Gerechtigkeit dienen sollen, müsse allerdings auf eine flächendeckende Umsetzung geachtet werden, um nicht zusätzlich "relative Deprivation" auf regionaler Ebene zu schaffen.
Die englischsprachige Studie ist über IZA World of Labor abrufbar:
Xi Chen (Yale University und IZA)
Relative deprivation and individual well-being
DOI: 10.15185/izawol.140
wol.iza.org/articles/relative-deprivation-and-individual-well-being
Literatur zum Thema:
Sozialpsychologie und Ökonomie
Witte, E.H.; Gollan, T. (Hrsg.)