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Psychopathen vor Gericht: Fragwürdie Diagnostik und konsequente Stigmatisierung

Forensische Psychiatrie: "Die Antisoziale bzw. Dissoziale Persönlichkeitsstörung und das Psychopathie-Konzept sind keine wissenschaftlich, klinisch-diagnostisch und therapeutisch tragfähigen Paradigmen. Die gängigen Mainstream-Diskurse über solche Täterpersonen erweisen sich als verengte Konstrukte" und blenden die psychosozialen Bedingungsfaktoren aus. Mit dieser Kritik wenden sich Dirk Fabricius, Ulrich Kobbe und Kollegen gegen die häufige Rechtspraxis, die den betroffenen "Psychopathen" statt einer qualifizierten Therapie eine folgenschwere Stigmatisierung offeriert. Der aktuelle Reader "Asozial, dissozial, antisozial - wider die Politik der Ausgrenzung" fasst die Fakten und Argumente zusammen.

Einschlägigen forensisch-psychopathologischen Ansätzen fehlt nach Einschätzung von Lorenz Böllinger zweierlei: "Zum einen die Einbeziehung der sozialen Zuschreibungsmechanismen als Bedingungen destruktiver Entwicklung; zum anderen die Reflexion der spezifischen Funktion und zirkulären Rückwirkung der Strafjustiz auf die kriminellen Karrieren." Gesellschaftlich, in der Kriminaljustiz und der Forensischen Psychiatrie bleibt der pychodynamische Aspekt destruktiver Abwehrmechanismen unbewusst: Spaltung, projektive Identifizierung, Verleugnung. "Die darin liegende Aggression (der Strafjustiz) ist ebenso Teil eines Zirkels wie die in schweren Straftaten zum Ausdruck kommende destruktive Aggressivität (der Straftäter)." 

"Die Justiz hat die Tendenz, bei dissozial-persönlichkeitsgestörten TäterInnen Schuldfähigkeit fast uneingeschränkt zu bejahen, während bei Psychosen und hirnorganischen Schädigungen meist ohne weiteres exkulpiert wird," schrieb Böllinger bereits in "Psychologie & Gesellschaftskritik." Er erklärte es justizsoziologisch:

- "Die Justiz praktiziert einen taktischen Umgang mit der Kategorie der Schuld(un)fähigkeit. Faktisch sind forensisch-psychiatrische und psychologische ´Wahrheit´  bzw. Empirie und prozedurale ´Realität´ bzw. ´Konstruktion´ der Entscheidung nahezu entkoppelt.

- Maßgebliche Determinanten der Taktik sind zum Einen subsytemische informelle Gesetzmäßigkeiten im alltäglichen Interaktionsprozess der Rechtspraxis.

- Zum anderen fungiert das biologische Paradigma der Dissozialen Persönlichkeitsstörung - insbesondere der Psychopathie - systematisch als Bollwerk gegen die adäquate Aufschlüsselung der komplexen psychosozialen Zusammenhänge.

- Beides zusammengenommen führt zu einer gesellschaftlichen Steuerung im Sinne politischer Systemstabilisierung - und Vermeidung einer grundlegend anderen, der psychosozialen Komplexität angemessenen Sozialpolitik und Behandlung."

Peter Strasser ging in "Psychologie & Gesellschaftskritik" weiter: Der Psychopath wird, "statt wertneutral als gewissensschwach und mitleidensunfähig diagnostiziert zu werden, als eine Verkörperung des ´natürlich Bösen´ verurteilt. Dieses mythologisierende Schema ist, so vermute ich, dabei, unter dem Einfluss popularisierter Bilder von bestialischen, ja teuflischen Kreaturen wiederbelebt und, auf verfeinertem Niveau, unter forensischen Gutachtern erneut verbreitet zu werden."

Dirk Fabricius und Ulrich Kobbe fordern daher in ihrem Reader eine "Selbstreflexion der (zuständigen) Institutionen. Dies schließt rekursiv die Selbstreflexion der Akteure ein und konfrontiert nicht nur die klinisch-forensische scientific community, sondern auch Rechtsphilosophie, Kriminal- und Gesellschaftspolitik mit der Kontroverse von Prototypisierung, Desozialisierung, Skandalisierung versus Differenzierung, Resozialisierung, Subjektivierung."

 

Dirk Fabricius, Ulrich Kobbe (Hrsg.) asozial - dissozial - antisozial: Wider die Politik der Ausgrenzung
Pabst, 304 Seiten, Paperback, 2023
ISBN 978-395853-832-0, eBook ISBN 978-395853-833-7

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Ulrich Kobbé (Hrsg.) Gutachten:Kritik. Psychologie&Gesellschaftskritik  2014/2015, Nr. 152/153

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