"Die Nachkommen der Überlebenden tragen eine aus dem unverarbeiteten Leid ihrer Eltern resultierende schwere Bürde. Sie können sie nicht einfach beiseite legen. In vielen Fällen führt dies zu psychischen Einschränkungen, insbesondere der Autonomie- und Identitätsentwicklung. Dennoch tragen die Kinder der Überlebenden die Verantwortung für dieses Erbe. Wenn sie sich dieser Verantwortung verweigern, laufen sie Gefahr, das Unverarbeitete in Leid und Ressentiments als destruktive Kraft in die nächste Generation weiterzugeben," warnt Pogany-Wnendt.
Die meisten Überlebenden des Holocaust konnten kaum mit dem Erlittenen fertig werden. Sie gaben ihr Leid daher "auf unterschiedliche Weise an ihre Kinder weiter, die zum Symbol für die 'Rückkehr ins Leben' wurden. In ihrer Not belasteten sie so tragischerweise ihre Kinder mit ihrem Schmerz. Sie suchten in ihren Kindern Liebe und Trost.
Die Kinder sollten ihnen die Kraft zum Weiterleben und so ihrem Leben wieder einen Sinn geben. Nicht selten wurden die Neugeborenen auch mit dem Wunsch belegt, verlorene Angehörige, insbesondere verlorene Kinder, zu ersetzen. Über die Kinder versuchten die Überlebenden, den Glauben an das Menschliche wiederzugewinnen. Sie rangen wegen ihrer Holocaust-Erfahrungen darum, liebende Eltern zu sein. Doch daran hinderten sie in verhängnisvoller Weise ausgerechnet ihre schmerzlichen Verwundungen; denn sie überfrachteten ihre Kinder oftmals mit (unbewussten) Erwartungen, die die Kinder natürlich nicht erfüllen konnten ..."
Der Beitrag von Pogany-Wnendt ist Teil der Psychoanalyse-Sonderausgabe "Jüdische Identitäten in Deutschland nach dem Holocaust", herausgegeben von Roland Kaufhold, Bernd Nitzschke und Oliver Decker (Psychoanalyse 1(28)2012).