"Es gibt Formen eines modernisierten ´cultural framings´, in welchem antisemitische Vorstellungen politisch mobilisiert werden und als opportun erscheinen." Lars Rensmann nennt "politische Gelegenheitsstrukturen", in denen antisemitische Ressentiments von "den Juden" auf den Staat Israel verschoben werden. "Exemplarisch zeigte sich diese Reaktivierung und Verschiebung z.B. in dem fragwürdigen Gedicht ´Was gesagt werden muss´ von Günter Grass.
Im postnationalsozialistischen Deutschland entwickelte sich ein Antisemitismus scheinbar ´ohne Antisemiten´. Während Antisemitismen immer wieder öffentlich und nicht-öffentlich artikuliert werden, leugnen die Sprecher gleichzeitig, Antisemiten zu sein." In diesem Kontext setzen sich Autoren in "Psychoanalyse" kritisch mit Günter Grass, Jakob Augstein und anderen öffentlichen Wortführern auseinander.
Lars Rensmann zitiert zustimmend Eva Horn: "Vielleicht liegt darin ein bizarrer und ziemlich schrecklicher Kern des modernen Hasses auf die Juden: dass man sich in einem Raum der reinen Projektion, der völlig offenen, referenzlosen Phantasmik bewegen kann, einer Phantasmik, die nicht einmal der bösen Bilder oder der expliziten Verleumdung bedarf. Sie bewegt sich bequem in der leeren Luft der puren Behauptung, unbeweisbar, unbelehrbar und damit auch unwiderlegbar."
Rensmann und andere stellen den Antisemitismus in einen breiten Fokus: Vor dem Hintergrund seines inhaltlich amorphen, projektiven Charakters kann sich Antisemitismus "zu einer anti-modernen Welterklärung verdichten. Diese Weltdeutung ist mit modernen Verschwörungstheorien aufs innigste verwandt." Meist führt dann nur ein "kleiner Schritt zur antisemitisch besetzten sozialen Paranoia."
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