Von der sanftesten Liebkosung bis zum härtesten Schlag steht die Berührung im Mittelpunkt unserer sensorischen Erfahrung der Welt. Sie prägt die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen, insbesondere bei engen Beziehungen mit anderen Menschen. Der Tastsinn ist eine der zentralen Formen der Wahrnehmungserfahrung, obwohl er in der Philosophie, der wissenschaftlichen Forschung und der Psychologie oft der visuellen Wahrnehmung untergeordnet wird. Während der Evolution entwickelten Wirbeltiere eine Vielzahl komplexer sensorischer Systeme, die einen klaren evolutionären Vorteil darstellten und dazu führten, dass höhere Säugetiere in der Lage waren, zwischen Schmerzen, moderaten und sanften Berührungsformen zu unterscheiden.
Da soziale Berührungen eine Voraussetzung für Intimität und von größter Bedeutung für die Bildung vertrauensbasierter Beziehungen sind, können im gesamten Säugetierreich (Nagetiere, Katzen, Hunde oder Primaten) verschiedene Formen sanfter Berührungen, Pflege und Streicheln beobachtet werden. Der Aufbau und die Aufrechterhaltung sozialer Hierarchien werden durch verschiedene Neurotransmitter im Gehirn moduliert. In Bezug auf soziale Interaktionen hat während des letzten Jahrzehnts ein bestimmtes Molekül in der Neurowissenschaft für viel Furore gesorgt: das Neuropeptid Oxytocin. Oxytocin beeinflusst nicht nur die Geburt und Stillzeit, sondern optimiert direkt das Gehirn, um Emotionen, Geschlechtsverkehr, Paarbindung und elterliches Verhalten zu ermöglichen. Wie genau Oxytocin diese prosozialen Verhaltensweisen fördert und was die tatsächliche Freisetzung des Neuropeptids auslöst, blieb jedoch ein Rätsel.
Diese Frage wurde nun durch internationale Zusammenarbeit von Forschungsteams aus Deutschland, Frankreich, Israel, den USA und dem Vereinigten Königreich unter Beteiligung des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim angegangen. Erstmals gelang es ForscherInnen elektrophysiologische Aufnahmen einzelner Oxytocin-Neuronen in sich frei bewegenden, weiblichen Ratten zu machen. So konnte nachgewiesen werden, dass Oxytocin-Neuronen speziell bei körperlicher Berührung aktiviert werden. Der Artikel, der in der renommierten Fachzeitschrift Nature Neuroscience veröffentlicht wurde, enthüllte, dass eine kleine Gruppe von Oxytocin-Neuronen, sogenannte parvozelluläre Oxytocin-Neuronen, für die Umwandlung von sensorischen Signalen in soziale Interaktionen verantwortlich sind.
Die AutorInnen verwendeten eine Vielzahl neuartiger Techniken und konnten zeigen, dass diese kleine Gruppe von Oxytocinzellen durch sensorische Information angesteuert wird, anschließend das gesamte Oxytocinsystem aktiviert und so schlussendlich die Kommunikation zwischen weiblichen Ratten fördert. „Diese Ergebnisse liefern grundlegend neue Erkenntnisse darüber, wie das Neuropeptid das Sozialverhalten koordiniert und bilden die Basis für Therapieansätze, bei denen Oxytocin als wirksames Mittel zur Behandlung von psychischen Störungen eingesetzt werden könnte“, sagt Prof. Dr. Valery Grinevich, Leiter der Abteilung Neuropeptidforschung in der Psychiatrie am ZI. Eine Kombination aus sensorischer Körperstimulation (zum Beispiel durch Massage) und Oxytocin-Verabreichung in die Nase könnte krankhafte sozial-emotionale Veränderungen beim Menschen synergistisch abschwächen. Auf diese Weise könnte es PatientInnen helfen, die von psychischen Erkrankungen wie der Autismus-Spektrum-Störung und posttraumatischer Belastungsstörung betroffen sind.
Pressemitteilung: https://idw-online.de/de/news751847