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Pathologischer Internetgebrauch: mangelnde Autonomieentwicklung und Reifung

Pathologischer Internetgebrauch wird in Deutschland meist analog zu stoffgebundenen Süchten behandelt. Dabei stehen gleichzeitig die zusätzlichen Störungen mit im Vordergrund. "Im Unterschied zur Behandlung stoffgebundener Süchte wird in der Behandlung des pathologischen Internetgebrauchs die Ressourcenorientierung hervorgehoben. Die Betroffenen werden als reich an Ressourcen gesehen", berichten Dr. Kay Uwe Petersen und Prof. Dr. Rainer Thomasius (Hamburg) in ihrer Studie "Beratungs- und Behandlungsangebote zum pathologischen Internetgebrauch".

Häufig werden Betroffene in unterschiedlichen Gruppen gesehen:

  • Cybersex-Abhängigkeit
  • Abhängigkeit von virtuellen Freundschaften in Chats
  • Zwanghafte Nutzung von Online-Spielen, Geschäften und Aktionen
  • Informationsoverload

Die nosologische Einordnung des pathologischen Internetgebrauchs wird kontrovers diskutiert; drei Varianten stehen zur Wahl:

  • Störung der Impulskontrolle
  • stoffungebundene Sucht
  • Persönlichkeits- und Verhaltensstörung

"In der Praxis dominiert in Deutschland offenbar die Einordnung als stoffungebundene Sucht. An zweiter Stelle steht das Verständnis des pathologischen Internetgebrauchs als tiefgreifende Störung der Affekt- und Beziehungsregulierung sowie der Selbststeuerung im Sinne einer Persönlichkeitsstörung. Dabei fällt auf, dass das Störungsverständnis vom jeweiligen Hintergrund der klinischen Expertin bzw. des Experten mit bestimmt wird. So wird die Einordnung als Sucht eher in Einrichtungen der Suchthilfe bevorzugt, jene als Persönlichkeitsstörung eher in der Psychosomatik.
 
In keinem Setting wird der pathologische Internetgebrauch bisher überwiegend als Impulskontrollstörung aufgefasst, obwohl dies nach den aktuellen Ausgaben der psychiatrischen Diagnostiksysteme naheliegend wäre," notieren die Autoren.
 
Als Begleiterkrankungen werden häufig depressive Symptome, soziale Ängste, bipolare Störungen, das Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) und Persönlichkeitsstörungen gesehen. Stoffgebundene Abhängigkeiten sind eher selten. Die Begleiterkrankungen haben zur Frage geführt, ob der pathologische Internetgebrauch nicht lediglich eines ihrer Symptome sei. Petersen und Thomasius widersprechen dieser Annahme; denn eine erfolgreiche Therapie der Begleiterkrankungen normalisiert in der Regel kaum den Internetgebrauch.
 
Die Autoren berichten, "dass die befragten Praktikerinnen und Praktiker den entwicklungspsychologischen und interaktionellen Aspekt des pathologischen Internetgebrauchs hervorheben. So lässt sich aus den Beschreibungen ein relativ einheitliches Störungsmodell extrahieren, dessen Kernstück mangelnde Autonomieentwicklung und Reifung, soziale Defizite, sozialer Rückzug und Selbstwertprobleme darstellen. Dem pathologischen Internetgebrauch kommt in diesem Modell eine Funktionalität im Sinne eines Rückzugs in eine Parallelwelt zu, in der die Zugehörigkeit zur Gilde, die Anerkennung und die Verkörperung durch einen selbstwertförderlichen Avatar kurzfristig die Defizite in der realen Welt kompensieren und langfristig im Sinne eines Teufelskreises verstärken ..."

Beratungs- und Behandlungsangebote zum pathologischen Internetgebrauch in Deutschland
Petersen, Kai-Uwe; Thomasius, Rainer




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