Er begründet detailliert die Sonderstellung der Menschheit. Dennoch stellt er im Kapitel "Genealogie des Stammbereichs Emotion" fest: "Alle menschlichen Motive - und nicht nur besondere von ihnen - entstammen den Emotionen der Tiere. Zugleich erfahren alle Emotionen der Tiere beim Menschen eine spezifische Ausprägung - die Ausformung zu Motiven. Das schließt allerdings nicht aus, dass durch eine besondere Kombination von Emotionen besondere Motive entstehen können, zu denen es in der Tierwelt keine Analoga gibt." Seidel bezeichnet die Motive, die sich relativ direkt aus animalischen Emotionen ergeben, als "Grundmotive" - im Unterschied zu den "gemischten Motiven".
Zu den "gemischten Motiven" zählt Seidel u.a. die Liebe: Er sieht hier zwei animalische Emotionen im Hintergrund: Mutterliebe (mit dem Schaltkreis care) und körperliche Zuneigung (mit dem Schaltkreis Lust). Der Begriff Liebe wird oft auch in einem uneigentlichen Sinn verwendet, z.B.: Liebe zu einem Hobby; hier sind als animalische Vorstufe die Emotionen Neugier und Spielfreude zu sehen. Die Nächstenliebe - im Sinn eines ethischen Postulats - ordnet Seidel dem Bereich Kognition zu.
"Die Neuerwerbungen des Menschengehirns gegenüber dem der Affen liegen hauptsächlich innerhalb des präfrontalen Kortex, in dem Planung, Koordination und Integration der höheren geistigen Prozesse erfolgen." Damit kann erst der Mensch Doppelaufgaben bewältigen: Er kann sich selbst von der Welt unterschieden sehen, d.h. er kann Objekte einerseits in ihrer Relevanz für ihn werten und sie anderseits objektiv in ihren Eigenschaften als solche wahrnehmen. Der Mensch entwickelt erstmals ein "doppeltes Bewusstsein": Er hat nicht nur Gefühle, er kann sich auch - im Unterschied zum Tier - seiner Gefühle bewusst werden und sie beeinflussen.
Literatur
Reiner Seidel: Die Evolution der Psyche: Wieviel Tier ist der Mensch?
Pabst, 330 Seiten. Paperback ISBN 978-3-95853-440-7. eBook 978-3-95853-439-1