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Kundenservice belastet die Gesundheit: 3,4 Millionen Beschäftigte im Groß- und Einzelhandel arbeiten am Limit

Sieben von zehn Beschäftigten im Groß- und Einzelhandel gehen bei der Arbeit an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Bezogen auf die 4,9 Millionen Beschäftigten der Branche sind das 3,4 Millionen Menschen bundesweit. Das schlägt sich auch im Krankenstand nieder: So sind im Einzelhandel beispielsweise psychische Erkrankungen die Ursache für jeden sechsten Fehltag. Das geht aus dem Branchenreport Handel der DAK-Gesundheit und der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik hervor. Darüber hinaus weist die Studie nach, dass die Unternehmenskultur eine nachhaltige Wirkung auf das Sicherheits- und Gesundheitsgeschehen im Betrieb hat. Sie zeigt auch, welche Faktoren für eine positive Sicherheits- und Gesundheitskultur gegeben sein müssen.

Für den Branchenreport wertete das IGES Institut die Unfalldaten von rund 3,6 Millionen Vollarbeitern im Groß- und Einzelhandel aus sowie die Fehlzeiten aller in der Branche erwerbstätigen Mitglieder der DAK-Gesundheit. Es wurden zudem bundesweit mehr als 4.000 Beschäftigte aus dem Handel sowie Vertreter der Geschäftsleitung und Verantwortliche im Gesundheitsschutz befragt. Die Ergebnisse dokumentieren, dass die Sicherheits- und Gesundheitskultur in vielen Unternehmen nur mittelmäßig ausgeprägt ist: So berichten die Befragten von mangelnder Ernsthaftigkeit bei Sicherheitsunterweisungen, von unzureichenden Chancen der Mitgestaltung und fehlender Information über einschneidende Veränderungen und Zukunftspläne. Chefs würden gute Leistungen nicht regelmäßig genug lobend anerkennen und das Thema Sicherheit und Gesundheit im Personalgespräch gerne meiden. Dabei zeigt sich, dass Beschäftigte in Betrieben mit einer schlechteren Sicherheits- und Gesundheitskultur auch eine geringere Arbeitsfähigkeit haben. "Sie leiden unter mehr Beschwerden und sind häufiger krankgeschrieben", sagt Thomas Bodmer, Mitglied des Vorstandes der DAK-Gesundheit. "Eine positive Kultur ist eine wichtige Ressource, die Unternehmen nutzen sollten, um Gesundheit und Sicherheit ihrer Beschäftigten am Arbeitsplatz zu verbessern", ergänzt Udo Schöpf, Vorsitzender der Geschäftsführung der BGHW.

Der Krankenstand betrug 2014 im Großhandel 3,4 Prozent, im Einzelhandel 4,0 Prozent - und bei allen Versicherten der DAK-Gesundheit insgesamt 3,9 Prozent. Demnach war der Krankenstand im Großhandel leicht unterdurchschnittlich. Im Einzelhandel entspricht er hingegen in etwa dem Durchschnitt. Die Beschäftigten im Einzelhandel sind seltener, aber dafür länger krankgeschrieben. Sie haben häufiger langwierige Probleme wie psychischen Erkrankungen (+ sechs Prozent mehr Fehltage) und Muskel-Skelett-Leiden (+ zwölf Prozent mehr Fehltage als im Durchschnitt aller erwerbstätigen Versicherten der DAK-Gesundheit). Rückenprobleme und andere Muskel-Skelett-Erkrankungen sind für jeden vierten Fehltag im Einzelhandel verantwortlich, psychische Leiden für jeden sechsten. Im Einzelhandel gab es 2014 auch mehr meldepflichtige Unfälle als im Großhandel. Auf 1.000 Vollarbeiter kamen hier 24,1 Unfälle, im Großhandel nur 16,7. Schwere Unfälle, die zu Rentenzahlungen führten, waren im Großhandel allerdings häufiger (0,6 statt 0,2 Fälle auf 1.000 Vollarbeiter). Sowohl im Einzel- als auch im Großhandel kommt es vor allem beim Gehen, Laufen, Hinauf- und Hinabsteigen zu Unfällen. Die Beschäftigten verlieren die Kontrolle über einen Gegenstand, den sie gerade tragen oder bewegen. Stürze spielen eine große Rolle, oft mit Verletzungen an der Hand, am Fuß oder Knöchel. Männer erleiden im Groß- und Einzelhandel in allen Altersgruppen mehr Unfälle als Frauen. Besonders junge Männer sind gefährdet: Die unter 20-Jährigen hatten im Großhandel 2014 mit 43 Unfällen auf 1.000 Vollarbeiter siebenmal so viele Unfälle wie ihre gleichaltrigen Kolleginnen.

Im Einzelhandel arbeiten neun von zehn Beschäftigten ausschließlich oder überwiegend mit Kunden (87 Prozent). Im Großhandel sind es etwa zwei Drittel (65 Prozent). Im Kundenkontakt zählt Schnelligkeit und eine positive Grundhaltung. Die Beschäftigten müssen immer freundlich bleiben, auch bei hoher Arbeitsbelastung. In der Auseinandersetzung mit anspruchsvollen Kunden entstehen Situationen, die emotional sehr belastend sein können. Zwei Drittel der befragten Beschäftigten (69 Prozent) gehen bei der Arbeit häufig oder manchmal bis an die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit. Bei 4,9 Millionen Beschäftigten in der Branche sind das rund 3,4 Millionen Männer und Frauen bundesweit. Etwa die Hälfte der Beschäftigten mit viel Kundenkontakt (46 Prozent) kann selten oder nie entscheiden, wann sie Pausen macht. Der Report zeigt auch, dass fast jeder Dritte keinen angemessenen Aufenthaltsraum hat. Oft müssen sich Mitarbeiter für ihre Pausen in Abstell- oder Lagerräume zurückziehen, was die Erholung beeinträchtigt.

Die Last der emotional fordernden Arbeit mit Kunden kann durch ein gutes Umfeld abgefedert werden. Es hilft den Mitarbeitern beispielsweise, wenn ein Chef klare Anweisungen gibt und ihnen in Auseinandersetzungen mit schwierigen Kunden den Rücken stärkt. Allerdings fühlen sich drei von zehn Befragten nie oder nur selten von ihrem direkten Vorgesetzten unterstützt. Vom Führungsstil des Chefs ist auch der Umgang der Mitarbeiter mit Fehlern abhängig. Wenn eine gute Fehlerkultur vorherrscht, muss niemand Fehler verschweigen. Tatsächlich meldet aber jeder siebte Mitarbeiter Unfälle oder Beinaheunfälle nur widerwillig, weil er befürchten muss, für Fehler beschuldigt zu werden.

Die Art der Mitarbeiterführung und der Umgang mit Fehlern sind entscheidende Aspekte der Sicherheits- und Gesundheitskultur. Sie sind fast ebenso wichtig für eine positive Unternehmenskultur wie der Stellenwert, den Sicherheit und Gesundheit im Betrieb genießen. Ein hoher Stellenwert beeinflusst die Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten stärker positiv als der Schulabschluss oder das Alter. "Gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung ist deshalb eine betriebliche Kultur der Sicherheit und der Gesundheit kein Luxus, sondern essenziell im Hinblick auf die Gesundheit, den Erhalt der Arbeitsfähigkeit und damit auch der Produktivität", kommentiert Thomas Bodmer von der DAK-Gesundheit die Ergebnisse.

"Sicherheit und Gesundheit müssen als Teil der Unternehmenskultur selbstverständlich werden", sagt BGHW-Geschäftsführer Udo Schöpf. "Je genauer ein Unternehmer weiß, was eine gute Sicherheits- und Gesundheitskultur ausmacht, desto gezielter kann er an den richtigen Stellschrauben im Betrieb ansetzen und positive Veränderungen erzielen."




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