Das erste psychologische Lehrbuch veröffentlichte Immanuel Kant 1798: "Anthropologie in pragmatischer Hinsicht". Bereits hier beschreibt er die wichtigsten Probleme psychologischer Forschung: "Methodenbedingte Reaktivität, Konfundierung von Selbstbeobachtung und Selbstdarstellung, durch Einstellungen bedingte systematische Verzerrungseffekte der Selbstbeobachtung sowie der Selbst- und Fremdbeurteilung, problematische Inkonsistenzen, Sinnestäuschungen und Urteilsprozesse in der Wahrnehmung, selektive Beschränkung auf bewusste Vorgänge, fragliche Compliance und mögliche Reaktanz.
In diesem Katalog von 1798 fehlen fast nur noch die Fehlerquellen und Erwartungseffekte auf Seiten des Beobachters," schreibt Jochen Fahrenberg. Für ihn ist es schwer nachvollziehbar, wie Kant bis heute regelhaft teils falsch und überwiegend kaum rezipiert werden konnte.
Aus aktuellen bibliometrischen Recherchen generiert Fahrenberg die wichtigsten alten und neuen Kontroversthemen der Psychologie:
- Leib-Seele-Problem (Gehirn-Bewusstsein-Problem)
- Metaphysischer Seelenbegriff - Apsychismus, Psychologie ohne (unsterbliche) Seele
- Subjekt-Objekt-Problem (innere und äußere Erfahrung, erste und dritte Person-Perspektive)
- Bewusstsein - Unbewusstes
- Willensfreiheit, Determinismus
- Emergenz - Reduktion (Emergentismus - Reduktionismus)
- Qualitative Methoden - quantitative Methoden
- Psychologische Gesetze (Kausalerklärungen, Nomologie) - andere Zusammenhänge (Kausalniveaus, Zweckprinzip, Evidenz)
- Theorie-Praxis-Problem (Grundlagenforschung - Anwendung)
- Gesellschaftliche Relevanz - 'Neutralität der Wissenschaft'
- Anlage-Umwelt-Problem
- Labor-Feld-Problem
Fahrenberg empfiehlt: "Statt die Widersprüche zu bestreiten oder ihre möglichen Konsequenzen gering zu schätzen, vielleicht tolerant gelten zu lassen oder in pragmatischer Haltung zu übergehen, ist das Nachdenken über die Kontroversen vorzuziehen. So ist konsequent weiter zu fragen: Mit welchen wissenschaftstheoretischen Konstruktionen und mit welchen Verhandlungsstrategien können die Gegensätze und die Kategorienfehler überbrückt, die kategorial verschiedenen Bezugssysteme kombiniert und ein systematischer Perspektivenwechsel gefördert werden?
Die Auffassung der Theoretischen Psychologie als Systematik der Schlüsselkontroversen führt konsequent zu Anforderungen an die Methodologie, an die Didaktik und die wissenschaftliche Ausbildung."