"Warum zählt Deutschland weltweit zu den Führungsnationen des Alkoholmissbrauchs - und bleibt europaweit Schlusslicht bei wirksamer Prävention?" Dr. Raphael Gaßmann, Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), formuliert im Jahrbuch die Diagnose: "Beinah sämtliche Bundestagsparteien erhalten regelmäßig Spenden und andere Zuwendungen aus allen Bereichen der Alkoholindustrie bis hin zur Mitfinanzierung von Parteitagen und Mitgliederzeitungen."
"Wirkmächtiger noch dürften die massiven Alkoholinteressen in beinah jedem Wahlkreis sein. Die Wirtschaft der Alkoholrepublik ist landauf landab derart stark vertreten, dass selbst Drogenbeauftragte schon den segensreichen Weinanbau und -konsum in ihren Wahlkreisen bewarben. Dass der ´Botschafter des deutschen Bieres´, ein jährlicher PR-Titel der deutschen Bierindustrie, meist von prominenten und einflussreichen Politikern gespielt wird, müssen wir als Leuchtturmprojekt von Alkoholindustrie und Parteipolitik begreifen."
Daher überrascht es Raphael Gaßmann nicht, dass sich die Regierung gegenüber drei Kernforderungen der DHS chronisch taub stellt:
- Kein Alkoholverkauf an Minderjährige. Konsequenter, sanktionierter Jugendschutz, wie außerhalb von Deutschland weltweit erfolgreich
- Beschränkung der Werbung für Alkohol; etwa wie bei verschreibungspflichtigen Medikamenten und Waffen
- Einheitliche Abgaben auf alle Alkoholika gemäß Alkoholgehalt; auch zur Finanzierung von Präventions-, Frühinterventions-, Beratungs- und Therapieangeboten für alle.
Der Alkoholkonsum sinkt zwar in Deutschland wie in den Nachbarländern seit Mitte der 1970er Jahre leicht; doch in weit höherem Maß hat der Drogenkonsum zugenommen. Die Polizeistatistiken erfassen für 2017 ca. 330.000 Rauschgiftdelikte - 9,2% mehr als im Vorjahr. Crystal, Amphetamin, LSD, Kokain, Marihuana wurden häufiger denn je sichergestellt. Heroin und Cannabis wurde eher selten konfisziert, berichten Experten des Bundeskriminalamts im Jahrbuch Sucht. Wieweit die Daten neben den Fahndungsergebnissen auch den wirklichen Konsum widerspiegeln, lässt sich nicht beurteilen. Da die Drogengeschäfte zunehmend und risikoarm über das Darknet abgewickelt werden, dürfte die Dunkelziffer erheblich steigen.
Trinker und Drogenkonsumenten lernen offensichtlich mehr und mehr, mit ihrem Stoff umzugehen: Die Zahl der Verkehrsunfälle unter Alkoholeinfluss sank vom Jahr 2000 mit 27.375 (1.022 Todesopfer) bis zum Jahr 2017 auf 13.343 (231 Todesopfer). Die Zahl der Drogentoten sank von 1449 im Jahr 2008 auf 1272 im Jahr 2017. Allerdings scheint beim "Widerstand gegen die Staatsgewalt" noch immer in mehr als jedem zweiten Fall Alkohol der Auslöser.
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.): Jahrbuch Sucht 2019, Pabst, 264 Seiten, Hardcover
ISBN 978-3-95853-483-4, eBook ISBN 978-3-95853-484-1