In einer Studie mit etwa 2000 Patienten in Österreich gaben 31 Prozent an, eine erotische Anziehungskraft ihres Therapeuten empfunden zu haben; 7,8 Prozent berichteten, dass die Anziehung von den Therapeuten ausginge; 3,8 Prozent sagten aus, dass es bereits zu sexuellen oder erotischen Berührungen gekommen sei, davon bei der Hälfte gegen den eigenen Willen.
Geht die erotische Ambition vom Klienten aus, "ist es wichtig, sich zu verdeutlichen, dass die vermutlich häufigste Quelle für das Liebesgefühl der verletzbare Kind-Modus im Patienten ist, welcher aufgrund eines biographisch frustrierten Bindungsbedürfnisses Sehnsucht nach Bindung, Geborgenheit, Geliebtwerden, körperlicher Nähe empfindet. Falls der Therapeut subtile oder offen gezeigte Anzeichen bemerkt, dass der Patient von ihm als Person geliebt werden möchte, muss dies thematisiert werden," empfiehlt Angelika Neumann und gibt differenzierte Gesprächsvorschläge.
"Wie beim Patienten auch, kann im verletzbaren Kind-Modus des Therapeuten der Wunsch nach Zuwendung, aber auch nach körperlicher Nähe und Gehaltenwerden entstehen. Insbesondere Therapeuten, bei denen das Bindungsbedürfnis durch ihre Bezugspersonen frustriert wurde und maladaptive Schemata der Domäne Abgetrenntheit und Ablehnung relevant sind, sind hierfür empfänglich. Es ist sinnvoll, sich bewusst zu sein, dass viele Therapeuten selbst das Schema 'emotionale Vernachlässigung' aufweisen und die Berufswahl, Therapeut zu werden, vermutlich davon beeinflusst ist. Die Versuchung, diese frustrierten Bedürfnisse in der Therapie zu befriedigen, ist dann groß und kann zu mangelnder Abgrenzung von den Patienten bishin zum Missbrauch führen ..."
"Therapeuten dagegen, bei denen ein ausgeprägter undisziplinierter Kind-Modus vorliegt sowie Schemata von Grandiosität, unzureichender Selbstkontrolle oder Selbstdisziplin, können bei Verliebtheitsgefühlen des Patienten mit Stolz, Triumphgefühl oder Genugtuung reagieren ..."
Neumann empfiehlt Vorgehensweisen, die eine systematische Einordnung der unterschiedlichen Formen von sexuellen Gefühlen und Verliebtheit in der Psychotherapie ermöglichen und in eine aktive emotionsfokussierte Bearbeitung münden.