Was genau das Phänomen Charisma ausmacht, ist schwer zu fassen. Bislang zielten die meisten Erklärungsansätze auf das Verhalten und die Kommunikation von Führungskräften ab. In ihrem Beitrag stellen die Wissenschaftler nun allerdings fest, dass sich Charisma sogar ohne jegliche konkrete Interaktion ausbilden kann. Entscheidend sind dabei Signale, die körperlich wahrgenommen werden, so genannte embodied signals. "Zu den Signalen, die eine Person selbst aussendet, gehören etwa Größe, Gesichtsstruktur und Stimmlage", erklärt Susan Reh. "Je größer die Person, je markiger das Gesicht und je tiefer die Stimme, desto charismatischer wird jemand wahrgenommen." Eine Person muss jedoch nicht einmal eigene Signale aussenden. "Es gibt auch relevante Umweltsignale", sagt Reh. "Das sind zum Beispiel Signale, die Reinheit symbolisieren, also Weiß statt Schwarz, Helligkeit statt Dunkelheit, Sauberkeit statt Schmutz. Je mehr davon zusammen kommen, desto stärker ist der charismatische Effekt, wenn der Rest der überbrachten Botschaft stimmt." Einen weiteren Einfluss auf die Wahrnehmung von Charisma hat die Temperatur: In einer warmen Umgebung fühlen sich Menschen eher zu einer Führungskraft hingezogen.
Prof. Dr. Niels Van Quaquebeke ergänzt: "Durch unsere Forschung zeigen wir, dass sich Charisma mit ein paar geschickten Handgriffen beeinflussen lässt. Das ist zum Beispiel interessant für Führungskräfte, die charismatischer erscheinen wollen." Die Ergebnisse dürften aber auch andere Zielgruppen interessieren: Alle, die ebensolche Führungskräfte möglichst objektiv bewerten sollen, wie Personalabteilungen und Journalisten. "Und natürlich alle Stimmberechtigten bei politischen Wahlen", fügt Van Quaquebeke hinzu. "Wähler sollten sich bewusst machen, wie im Wahlkampf körperliche Hinweise ihre Wahrnehmung verzerren können - und das, bevor sie ihr Kreuz machen." Beispielhaft für solche Beeinflussungen sind laut Reh und Van Quaquebeke die Inszenierungen vieler Diktatoren. So muss das Volk zum Diktator aufschauen, häufig wird Rot zur Suggestion besonderer Stärke benutzt und Fotos dürfen nur von unten aufgenommen werden. "Aber auch wie sich die politischen Führungskräfte etwa in den USA oder Russland heutzutage inszenieren, bietet Einiges zur Analyse", stellt Van Quaquebeke fest.