Medizinaldirektor Dr. Manfred Keppler (Vechta) kritisiert: "Nur wenige Anstalten gehen offensiv mit existentem Drogenkonsum und der daraus resultierenden Problematik um. Entsprechend gibt es Anstalten, die Drogenkonsum ignorieren, leugnen, verniedlichen oder berichten, sie hätten die Drogensituation im Griff. Die Arbeit mit Drogenkonsumenten im Justizvollzug findet unter sehr einschränkenden Bedingungen statt. Sicherheits- und Ordnungsaspekte stehen im Gefängnisalltag im Vordergrund.
Obwohl die Substitutionsbehandlung eine etablierte Behandlungsform darstellt, gibt es immer noch Anstaltsärzte, die die Substitution grundsätzlich ablehnen." In anderen Anstalten sind die Behandlungskapazitäten - ärztlich oder pflegerisch - begrenzt, so dass Abhängige zunächst nur auf der Warteliste Platz nehmen dürfen.
Keppler diagnostiziert: "Eines der Hauptprobleme ist, dass bei Vollzugsmitarbeitern vielfach eine akzeptierende Grundhaltung gegenüber Drogenkonsumenten als Basis für eine substituierende Behandlung fehlt. Eigentlich ist Aufgabe des Strafvollzugs, das Gefängnis als drogenfreien Raum zu gestalten. Getreu dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, steht der Umgang mit Drogenabhängigen im Vollzug unter dreierlei Einfluss:
- Erstens bestehen hohe Erwartungen an die Erfüllung des Resozialisierungsauftrags.
- Zweitens ist verbreiteter Drogenkonsum in den Gefängnissen Realität.
- Drittens unterliegen die Handlungsmöglichkeiten der Gefängnisse zum Teil hinderlichen politischen Einflüssen und Willensbildungen sowie öffentlichem und medialem Druck."
Der Strafgefangene hat den gleichen gesetzlichen Anspruch auf eine Therapie wie in Freiheit. Dieses Äquivalenzprinzip macht für Drogenabhängige eine Substitutionsbehandlung auch juristisch obligatorisch. Die Verweigerung ist gesetzwidrig. Kürzlich hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Verweigerung der Substitution (mit Methadon) als Verstoß gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention gewertet.
Das Standardwerk "Gesundheit und Haft" beschreibt in Einzelbeiträgen die medizinisch-psychosozialen Problemfelder der Klientel - vor, während und nach der Haft. Die Herausgeber betonen auch die gesamtgesellschaftliche Bedeutung einer verbesserten Therapie: Ein guter Gesundheitszustand bietet nach der Entlassung erfreuliche Chancen für eine Resozialisierung; der Gesellschaft bleiben damit weitere Straftaten und erneute Belastungen erspart.
Gesundheit und Haft
Handbuch für Justiz, Medizin, Psychologie und Sozialarbeit
Lehmann, Marc; Behrens, Marcus; Drees, Heike (Hrsg.)