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Geschichte der Bildung und Erziehung in Europa: überraschend, befremdlich und diskontinuierlich

Bildung und Erziehung werden immer vom gesellschaftlich-kulturellen System bestimmt - und wirken wiederum auf das System zurück. Michael Sonntag begreift Bildung und Erziehung daher als sozialintegrative Praxis und konturiert ihre wechselvolle Entwicklung. Seine neue Monografie "Bildung und Erziehung in der europäischen Psychogenese" liest sich wie eine überraschende Kultur- und Sozialgeschichichte.

Die thematischen Schwerpunkte:

 

- Anthropologische und pädagogische Vorstellungen der griechischen und römischen Antike

- das kirchlich vermittelte und geistlich geprägte Bildungswesen des Mittelalters

- die Verweltlichung des Bildungswesens und der Bildungsideen seit der frühen Neuzeit einschließlich der europäischen Sozialdisziplinierung

- moderne Anthropologien, die Verstaatlichung und Verbürgerlichung des Bildungssystems

- die Beiträge dieser Entwicklungen zur Psychogenese bzw. zur Entstehung heutiger Formen der Individualität

 

Vehement wehrt sich Sonntag gegen weit verbreitete Konstruktionen einer Kontinuität. Menschen "durchlaufen gravierende Veränderungen, auch innerhalb des abendländische Kulturkreises. Die Menschen der griechischen Antike oder des Mittelalters und ihre Kulturen sind uns fremd." Viele Geschichtsschreiber gehen darüber hinweg und "täuschen eine fließende Kontinuität von damals bis heute vor, als befassten sich die damaligen Denker mit den gleichen Problemen wie die heutigen, nur die Lösungen sähen angeblich etwas anders aus.

 

In Wirklichkeit denken sie über ganz andere Dinge nach - auch dort, wo sie die gleichen Begriffe verwenden. Die Geistesgeschichte tut so, als seien mit den Begriffen auch die Dinge selbst damals wie heute die gleichen. So z.B. die "Seele", lat. anima, gr. psyche. Es gibt Psychologen, die allen Ernstes glauben, der große griechische Philosoph Aristoteles hätte über drei Jahrhunderte vor Christus mit seinem Werk ´Peri Psyches´ das erste Lehrbuch der Psychologie geschrieben. Doch für Aristoteles ist die Seele des einzelnen Menschen nur der winzige Teil einer alles Menschliche übersteigenden göttlichen Weltseele ..."

 

"´Die Seele´hat also Geschichtlichkeit. Die verschiedenen Jahrhunderte sagen nicht nur ganz verschiedene Dinge über die Seele, vielmehr sprechen sie gar nicht über die gleiche Sache, wenn sie von ´der´ Seele sprechen..."

 

So thematisieren Bildung und Erziehung im griechischen Sparta keinen Topos der heutigen Pädagogik, sondern ein sozialintegratives Scenario einer für uns fernen und daher umso interessanteren Welt.

 

Sonntag, Michael: Bildung und Erziehung in der europäischen Psychogenese
Band VIII der Reihe Psychogenese der Menschheit, Hrsg. Gerd Jüttemann

Pabst, 2022, 258 Seiten, Hardcover

 

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