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Frauen und Männer sind anders süchtig

Suchtmittel haben für Frauen und Männer oft unterschiedliche Funktionen. Daher bietet eine geschlechtsspezifische Suchtbehandlung bessere Behandlungsergebnisse. Dies ist zwar Konsens in der Fachwelt, jedoch noch immer nicht gängige Praxis. Experten bieten in einem neuen Handbuch einen detaillierten Überblick über das differenzierte Problemfeld: "Geschlecht und Sucht - Wie gendersensible Suchtarbeit gelingen kann".

Herausgeberin Doris Heinzen-Voß bringt die Unterschiede auf den Punkt:
 
"Frauen und Mädchen wählen eher solche Substanzen, die als relativ ungefährlich gelten und unauffällig, in angepasster Weise zu konsumieren sind: leichte Zigaretten, Schmerz-, Schlaf- und Beruhigungsmittel, ´leichte´ Alkoholika, wie Sekt, Wein, Bier, Alkopops - und Cannabis. Der Konsum soll in erster Linie dazu beitragen, die Funktions- und Anpassungsfähigkeit aufrecht zu erhalten, geringe Selbstachtung zu kompensieren sowie Traumata zu bewältigen. Die Substanzen haben außerdem die Funktion, den Körper und sein Gewicht zu manipulieren (Appetitzügler, Abführmittel, ´Rauchen macht schlank´). Zum Teil dienen sie auch der ´Entgrenzung´ und des Sich-die-Erlaubnis-Gebens, um einmal tun zu können, was eigentlich als unweiblich gilt (beispielsweise Aggressivität).
 
Männer und Jungen wählen weitaus häufiger gefährliche Substanzen, die schnell zum Rausch führen: starker Tabak, ´harte´ Alkoholika, potentiell tödlich wirkende Drogen wie Heroin, Kokain. Die im Rausch erlebten Gefühle von Antriebssteigerung, Grandiosität und des Über-Sich-Hinauswachsens entsprechen den stereotypen Dynamiken von Männlichkeit. Die Suchtstoffe dienen als Mittel, Leistung zu steigern, Risiko zu erleben, Grenzen auszuloten - und haben eine besondere Bedeutung für männliche Initiationsriten, werden aber auch eingesetzt, um Probleme zu verleugnen, Gefühle von Schwäche und Hilflosigkeit zu ertragen und Ängste zu überwinden. Die Konsumerwartungen von Jungen und Männern beziehen sich auch auf den Erhalt von Status und Macht - insbesondere durch ungehemmtes Ausleben von Gewalt ..."
 
Sybille Teunißen und Wibke Voigt beschreiben eine besondere Gruppe von Frauen mit schweren Traumafolgestörungen. "Suchtmittel stellen hier eine Möglichkeit der Selbstmedikation von posttraumatischen Belastungssymptomen dar - wie Wiedererleben von Traumafragmenten, anhaltende Übererregung oder dissoziative Erlebnisweisen."
 
Die häufigen Berichte über traumatisierte Mädchen und Frauen sollten nach Meinung von Hans-Joachim Lenz nicht davon ablenken, dass auch bei einem Teil der suchtabhängigen Jungen und Männer eine Traumatisierung im Hintergrund steht: "Ein wesentlicher Teil der körperlichen, psychischen und sexuellen Gewalt findet im häuslichen Bereich statt. Die Familie ist der Ort, an dem Jungen am häufigsten mindestens eine Form körperlicher Gewalt erleiden. Es gibt Anzeichen dafür, dass Jungen etwas häufiger oder stärker körperliche Erziehungsgewalt widerfährt als Mädchen." Dazu gehören auch "sexualisierte Gewalt in allen Schweregraden und Varianten - sowohl innerhalb der Familie, z.B. gemeinsam durch Vater und Mutter, als auch außerhalb in Freizeit, Sport, Schule, Ausbildung."
 
Traumatisierte Suchtpatientinnen- und Patienten benötigen nach Einschätzung von Monika Vogelgesang eine parallele Behandlung beider Erkrankungen. Vor allem bei dieser Komplexität hält die Psychiatrin es für erforderlich, dass Frauen von einer Therapeutin und Männer von einem Therapeuten betreut werden. Häufig arbeiten junge Ärztinnen, Psychologinnen, Sozialarbeiterinnen mit älteren suchtkranken Männern; dies macht eine gendersensible Suchtarbeit besonders problematisch.

Geschlecht und Sucht
Wie gendersensible Suchtarbeit gelingen kann
Heinzen-Voß, Doris; Stöver, Heino (Hrsg.)




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