Prof. Dr. Thomas Feltes und Dr. Michael Alex (Bochum) listen eine Serie häufiger adynamer Gutachten-Mängel auf, u.a.: "Menschliches Verhalten ist einem ständigen Änderungs- und Anpassungsprozess unterworfen; viele in den üblichen Prognoseverfahren erhobenen Merkmale sind viel zu statisch und oftmals historisch weit zurückliegend, als dass sie wirklich die Bedeutung haben, die ihnen eingeräumt wird."
In diesem Kontext monieren Feltes und Alex auch, wie Gutachter unkritisch vorausgegangene Gerichtsurteile zugrundelegen: "Erkenntnisse aus der eigenen Exploration werden häufig durch Hinweise auf Urteile und Feststellungen des Gerichts relativiert oder gar ersetzt. Dabei stellt sich die Frage, ob der Gutachter nicht vor dem Hintergrund seiner bestimmten Aufgabe rückblickend Geschehnisse auch anders (als zuvor das Gericht) interpretieren kann oder sogar muss."
Feltes und Alex ersparen dem Leser Absurditäten des forensischen Systems nicht, z.B.: "Obwohl Prognosegutachten über Probanden aus dem Strafvollzug oder der Sicherungsverwahrung immer 'psychisch gesund' definierte Personen betreffen, gibt es eine Tendenz bei psychiatrischen Sachverständigen, bei der Begutachtung von Strafgefangenen ein 'Kranksein' zu konstruieren, das dann zur Erklärung für die fortdauernde Gefährlichkeit herangezogen wird. Doch wenn die Einschätzung richtig ist, stellt sie eher die ursprüngliche Annahme von Schuldfähigkeit infrage, als dass sie Anlass sein könnte, die Inhaftierung fortzusetzen ..."
Das Manual stößt kritische Reflexionen und konstruktive Weiterentwicklungen der forensischen Begutachtung an - und damit gleichzeitig die kritische Selbstreflexion und Weiterentwicklung des Gutachters selbst. Ulrich Kobbe: "Allzu leicht 'verschwinden' die Individuen im prognosewissenschaftlichen Diskursdickicht einer fiktionalen Kombinatorik aus Tatsachen, Daten, Statistiken, Theorien, Meinungen, Urteilen und Vorurteilen." Bei allem Engagement und aller Elaboriertheit im Prognosegewerbe kann der Prognostiker Kobbe seiner Zunft das Postulat der Bescheidenheit nicht ersparen - mit einem Zitat von Montaigne: "Wir mögen auf noch so hohe Stelzen steigen, auch auf Stelzen müssen wir mit eigenen Beinen gehen. Und selbst auf dem höchsten Thron der Welt sitzen wir nur auf unserem Arsch."