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Forensische Ambulanz für Opfer häuslicher Gewalt künftig kindgerecht

Verletzungen bei Opfern von Kindesmissbrauch oder Kindesmisshandlung dokumentieren und gerichtlich verwertbare Beweise sichern, zählt zu den Kernaufgaben der Mainzer Forensischen Ambulanz, und der Bedarf ist riesengroß: Seit ihrer Gründung im Jahr 2007 hat die Einrichtung im Institut für Rechtsmedizin an der Universitätsmedizin Mainz nahezu eine Vervierfachung aller Untersuchungsanfragen (erwachsene Personen eingeschlossen) von 155 (2007) auf 550 (2009) registriert. Die Zahl der Untersuchungsanfragen - ausschließlich auf Kinder und Jugendliche bezogen - stieg sogar um das rund Fünffache: von 78 (2007) auf 385 (2009).

Als Reaktion auf diese Entwicklung präsentieren sich Untersuchungs- und Warteraum künftig in kindgerechter Optik und Ausstattung. Damit ist ein vertrauensvolles Umfeld geschaffen, was laut dem Direktor der Rechtsmedizin, Univ.-Prof. Dr. Dr. Reinhard Urban, eine zentrale Voraussetzung für diesen Teil der Arbeit in der Forensischen Ambulanz bedeutet.

45.000 Euro stellte die Stiftung "Ein Herz für Kinder" für die Einrichtung sowohl eines kindgerechten Untersuchungs- als auch Warteraums in der Forensischen Ambulanz zur Verfügung. "Diese Investition ist für uns von unschätzbarem Wert. Denn bei unserer Arbeit kommt es auch darauf an, dass uns Kinder, die zu uns gebracht werden, Vertrauen entgegen bringen und Ängste abbauen. Das Umfeld, in dem wir die Untersuchungen durchführen, ist dabei ganz entscheidend", betont der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Univ.-Prof. Dr. Dr. Reinhard Urban. Der Warteraum gleicht auf den ersten Blick einer Wohlfühloase für Kinder: Es dominieren bunte Farben, Möbel in Kuscheltieroptik stechen ins Auge und Spielsachen sorgen für die nötige Ablenkung. Auch der Kinderuntersuchungsraum wirkt alles andere als bedrohlich - im Gegenteil: Es wurde Wert darauf gelegt, keine Krankenhausatmosphäre zu vermitteln.

Rückblick: Im Jahr 2002 entschlossen sich der Direktor der Rechtsmedizin, Univ.-Prof. Dr. Dr. Reinhard Urban, und sein Team erstmals, unentgeltlich Missbrauchsopfer zu untersuchen. Insgesamt 30 waren es in jenem Jahr. Von da an kletterte die Zahl der Untersuchungsanfragen kontinuierlich nach oben und erreichte mit 121 einen vorläufigen Höhepunkt im Jahr 2006. "Für uns stand da fest, dass wir die Untersuchung von Missbrauchs- und Misshandlungsopfern institutionalisieren müssen. Die Gründung der Forensischen Ambulanz im Jahr 2007 war die Konsequenz aus der Gesamtentwicklung", sagt Urban.

Jährlich 80.000 Euro stellt das rheinland-pfälzische Innenministerium, das sich den Schutz von Opfern in engen sozialen Beziehungen auf seine Fahnen geschrieben hat, seitdem für die Einrichtung zur Verfügung. "Die Forensische Ambulanz des Rechtsmedizinischen Instituts von Prof. Urban ist ein wichtiger Bestandteil der Interventionskette gegen Gewalt in engen sozialen Beziehungen", unterstreicht Innenminister Karl Peter Bruch. "Sie steht den erwachsenen, meist weiblichen Opfern ebenso zur Verfügung wie Kindern. Das macht die Einrichtung für uns wertvoll, da die Untersuchung an keinerlei Bedingungen geknüpft ist, beispielsweise die Anzeigenerstattung bei der Polizei." Die hohe Zahl der Untersuchungsanfragen solle dabei nicht erschrecken, so Bruch. "Unsere Bemühungen in den vergangenen Jahren haben das Thema aus der Tabuzone in die Öffentlichkeit gebracht. Das bewirkt eine höhere Sensibilität des Umfelds einerseits und höhere Fallzahlen andererseits. Eine Anzahl von Fällen, die wahrscheinlich vorher auch begangen wurden, aber bislang im Dunkelfeld blieben. Daher wird ein Teil unserer Fördermittel auch für eine wissenschaftliche Auswertung Verwendung finden."

Die Bedeutung der Forensischen Ambulanz für die Beweissicherung bei Opfern häuslicher Gewalt, insbesondere aber für eine sichere Diagnosestellung bei Kindesmissbrauch und Kindesmisshandlung ist unbestritten. Eine besondere Rolle spielt die Forensische Ambulanz darüber hinaus für die Möglichkeit der Traumabewältigung bei erwachsenen Patienten und für die Einschätzung des Ausmaßes einer Kindeswohlgefährdung. "Eine möglichst zeitnahe, objektive und dauerhaft abrufbare Befundsicherung gerade bei Sexualdelikten und damit auch dem Kindesmissbrauch führt bei den betroffenen Personen selbst und den Betreuungspersonen zu einem ‚emotionalen Abschluss’ des Traumas. Es stellt daher den ersten Schritt für eine psychologisch oder anderweitig begleitete Traumabewältigung dar", sagt Urban. Eine nicht minder wichtige Funktion hat die Forensische Ambulanz darüber hinaus für die Prävention. "Die sichere Diagnostik von Verletzungen und die Einbeziehung beispielsweise der Jugendämter erlaubt eine konkrete Intervention und präventive Maßnahmen zur Vermeidung zukünftiger Vorfälle", erklärt Dr. Bianca Navarro-Crummenauer vom Institut für Rechtsmedizin.

Dass Misshandlung und Missbrauch gewichtige Themen in der Landeshauptstadt darstellen, betont der Mainzer Polizeipräsident Karl-Heinz Weber: "Täglich zwei- bis dreimal wenden sich verzweifelte Menschen wegen Gewalterfahrungen in engen sozialen Beziehungen allein im Bereich der Polizeidirektion Mainz an die Polizei. Diese annähernd 900 Fälle pro Jahr sind sicher nur die Spitze des Eisbergs." Hilfe in Anspruch zu nehmen, verlange von den oft stark eingeschüchterten Opfern enorme Überwindung. "Je umfassender wir uns um diese Menschen kümmern können - und das sage ich auch als Landesvorsitzender des Weissen Rings -, desto eher erfahren die Opfer endlich einmal in ihrer Not und Hilflosigkeit wahrgenommen und unterstützt zu werden. Dass für diesen so schweren Schritt mit der Forensischen Ambulanz eine spezielle Möglichkeit der professionellen Hilfe geschaffen wurde, ist ein wichtiger und notwendiger Schritt."

Für einen noch lückenloseren Opferschutz plant der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin, Univ.-Prof. Dr. Dr. Reinhard Urban, aktuell gemeinsam mit Innenminister Karl Peter Bruch die Einrichtung eines Kompetenznetzes für Kindesmissbrauch und Kindesmisshandlung. Koordinationsengpässe sollen so in Zukunft weitgehend der Vergangenheit angehören. Im Fokus dabei: Eine noch engere Vernetzung zwischen Forensischer Ambulanz, Jugendämtern, Kinderklinik und Kinderchirurgie der Universitätsmedizin sowie niedergelassenen Kinderärzten.




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