Der "Ehrenmord" hat keine speziell religiösen Wurzeln, der archaische "Ehrbegriff" mitsamt seinen regional unterschiedlichen Regeln stammt aus der vorislamischen Zeit und dient der absoluten Kontrolle der männlichen Familienmitglieder über die Frauen. Maryam H. hat sich von ihrem Mann scheiden lassen und damit den patriarchalen "Ehrbegriff" verletzt. Die freie Wahl eines anderen Lebenspartners wurde als unzulässige Selbstbestimmung wahrgenommen.
Die Verteidigung der "Familienehre" ist zwar im Orient strikt Aufgabe der Männer; doch häufig fordern auch weibliche Angehörige die Exekution und setzen Väter oder Brüder oder Cousins unter Druck, berichtet Dr. Carina Agel in ihrer Studie "Ehrenmord in Deutschland": "Fast immer handeln die Täter - obwohl ihnen das Unrecht ihres Handelns bewusst ist und ihnen die strafrechtlichen Konsequenzen bekannt sind -, weil sie glauben, gegenüber ihren Familienangehörigen oder gegenüber Personen ihres Kulturkreises keine andere Wahl zu haben."
Besonders brisant wird die Situation, wenn eine Rückkehr der Familienangehörigen in ihre Heimat - Afghanistan, Türkei usw. - ansteht: Wer die "Ehrverletzung" nicht traditionell gerächt hat, wird zuhause aus der Großsippe ausgeschlossen und muss ggfs. mit weiteren einschneidenden Sanktionierungen, u.U. einem Mord rechnen.
Literatur zum Thema
Carina Agel: (Ehren-)Mord in Deutschland.
Pabst, 358 Seiten. Paperback ISBN 978-3-89967-861-1