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Drogen werden häufig ohne Abhängigkeit genossen - und ohne Therapie wieder abgesetzt

"Im Buch 'Pleasure, pain and profit: European perspectives on drugs' werden die Themen Genuss, Leid und Profit des Drogenkonsums in der Europäischen Gesellschaft aufgegriffen. In neun kurzweiligen Essays und Berichten bekommt man einen Einblick in Aspekte der Drogenforschung, die selten thematisiert werden. Nicht nur auf die dunklen Seiten des Drogenmilieus wird Bezug genommen, sondern auch darauf, dass Konsumenten nicht zwangsläufig unaufgeklärte Individuen sind, die den Substanzkonsum als Copingstrategie verwenden. Vielmehr wird darauf eingegangen, dass Drogenkonsum verschiedensten Motivationen unterliegt, darunter auch dem Genuss", berichtet Tessa-Virginia Hannemann in ihrer Rezension, veröffentlicht in "Sucht" 6/2011.

"Im zweiten Kapitel des Buches wird zum Beispiel von Patrik Karlsson erläutert, dass Präventionsprogramme gegen jugendlichen Drogenkonsum oftmals gerade den Genuss als einen entscheidenden Faktor ignorieren. Vielen Präventionsmaßnahmen liegt das ,deficit model' zugrunde, das jugendliche Konsumenten als Individuen sieht, die entweder zu wenig über die Gefahren der Drogen wissen, dem Gruppendruck nicht widerstehen können oder mit Hilfe von Drogen vor ihren Problemen flüchten wollen. Dabei bezieht sich Karlsson auf Literatur, die bestätigt, dass die meisten Jugendlichen gut über mögliche Gefahren informiert sind, aber ihren Peers gar nicht widerstehen wollen, da sie gezielt die positive Wirkung der Drogen suchen. Karlsson argumentiert, dass eine Berücksichtigung dieser Motivation die Lücke zwischen Wissenschaftlern, Entscheidungsträgern und Jugendlichen schließen könnte, aber auch Präventionsprogramme davon profitieren würden.

Damit wird der Ton des Buches vorgegeben, der auch im Kapitel von Tom Decorte, einem der Herausgeber des Buches und seiner Kollegin Marjolein Muys, aufgegriffen wird. In einer Langzeitstudie an nicht-kriminellen, nicht-institutionalisierten Kokainkonsumenten wurden 65 Personen über eine Zeitspanne von 12 Jahren dreimal zu ihrem Konsum sowie zu den erlebten positiven und negativen Effekten von Kokain befragt. Am Ende der Beobachtungszeit war der Konsum in den meisten Fällen zurückgegangen oder hatte komplett aufgehört, was oft auf sich verändernde soziale Rollen (man ist zum Beispiel Eltern geworden, hat einen neuen Job angefangen, etc.) zurückzuführen war. Interessanterweise hatte sich die Einschätzung der positiven Effekte des Kokains über die Zeit kaum verändert, wohingegen es Verschiebungen bei den negativen Effekten gab. Die Konsumenten waren sich durchaus über die Risiken und negativen Effekte von Kokain im Klaren, und diese Einschätzung der "pains” wurde im Untersuchungszeitraum wichtiger als die "pleasures”. Der Genuss war und blieb jedoch der wichtigste motivierende Faktor, überhaupt zu konsumieren.

Der Initiator und Direktor des Harm Reduction Consulting Services in Amsterdam beschreibt im fünften Kapitel seine Vergangenheit als Heroinabhängiger im New York der 1980er Jahre. Indem er die Tiefpunkte seiner Drogenkarriere und die seiner "Kollegen” erzählt, beschreibt er, wie Harm Reduction schon vielen Abhängigen geholfen hat, und auch, wie man diesen Ansatz zukünftig noch verbessern kann.

Auch im Beitrag von Tom Nabben zeigt sich, dass eine Nulltoleranzpolitik nicht zwangsläufig eine effektive Methode ist, gegen illegalen Drogenkonsum vorzugehen, sondern teilweise auch ungewollte Gefahren der Verbraucher mit sich bringt. Bei einigen Elektromusik-Festivals in den Niederlanden wurde das Bestreben der Polizisten beobachtet, die Nulltolleranz gegenüber Drogen mit strengen Durchsuchungen der Festivalbesucher vor Eintritt in das Gelände durchzusetzen. Dies führte, den Befragungen der Festivalgänger nach zu urteilen, nicht dazu, dass weniger illegale Drogen im Rahmen der Veranstaltung genommen wurden, sondern eher zu einer Veränderung der Konsummuster. Manche versuchten, bessere Verstecke am Körper zu nutzen. Viele berichteten, aus Angst von Polizisten entdeckt, bestraft oder dem Festival ausgeschlossen zu werden, die Drogen mit einem Mal vor Einlass in das Gelände zu nehmen anstatt sie wie beabsichtigt über den Abend verteilt einzunehmen oder mit Freunden und Bekannten zu teilen. Im Ergebnis zeigt sich keine Reduktion des Drogenkonsums, sondern eine Erhöhung der gesundheitlichen Risiken der Konsumenten.

Zuletzt erläutert Gary R. Potter die ökonomische Seite des Cannabiskonsums und geht damit auf die "profits” des Konsums ein. Befragt wurden Cannabisproduzenten zu ihren Beweggründen und Risiken des Cannabisanbaus. Interessanterweise ist für viele Cannabisanbauer der monetäre Gewinn oft zweitrangig. Der "profit” liegt eher in den einhergehenden "pleasures”, wie zum Beispiel der persönliche Konsum oder die Züchtung einer speziellen Art. Auch spielte der Hintergedanke eine Rolle, dass Cannabis als Arzneimittel verwendet, Schmerzen lindern kann.

Im Buch Pleasure, pain and profit werden durchwegs Selbsteinschätzungen oder Selbstberichte verwendet, die in der Regel als Limitation der quantitativen Forschung diskutiert werden. Dabei ist es gerade diese Herangehensweise, durch die sich die vorgestellten Arbeiten auszeichnen. Dank der durchweg qualitativen Methodologie bekommt man Erkenntnisse, die mit quantitativer Forschung nicht zu erzielen wären. So ist ein offener Umgang mit schwer zugänglichen Konsumenten besonders wichtig, um Informationen über Konsummuster zu erlangen.

Insgesamt wird deutlich, dass dem Drogenkonsum vielfältige Motive zu Grunde liegen. Zieht man in Betracht, dass nicht jeder Drogenkonsument zwangsläufig abhängig und kriminell wird, oder dass in vielen Fällen als Motiv nicht eine Problembewältigung, sondern der Drogengenuss im Vordergrund steht, wird ersichtlich, dass man mehr in Richtung Harm Reduction als in Richtung Nulltoleranz blicken sollte. Pleasure, pains and profit schafft es auf eine unterhaltsame und interessante Art und Weise, einen Einblick in und eine Übersicht über die Thematik zu geben und durch qualitative Methoden ein tieferes Verständnis dafür zu verleihen."




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