NEWSBÜCHERJOURNALEONLINE-SHOP



 

Sie befinden sich hier: NEWS » Aktuelle News Psychologie » News lesen

« zurück

Digitale Welt, demografischer Wandel: Wie Betriebe reagieren / Wie verändert sich Arbeit?

Wie verändert sich Arbeit? Wirtschaftsinformatiker und Sozialpädagoginnen der Uni Hildesheim koordinieren das "InDeKo.Navi"-Projekt, in dem bundesweit untersucht wird, wie Betriebe mit Nachwuchssorgen und Personalentwicklung umgehen. Sie befassen sich mit den Folgen des demografischen Wandels und der modernen digitalisierten Arbeitswelt. Und in der lebt und arbeitet noch immer der Mensch - mit all seinen Fähigkeiten, Stärken, Schwächen. Wie sehen Arbeitsumgebungen aus, die Gesundheit und Lernen fördern? Wie geben ältere Ärzte, IT-Führungskräfte oder Maschinenbauer ihr Wissen weiter? Wie erleben Jüngere nach Abschluss der ersten Bildungsphasen ihre Karriereperspektiven?

Wie verändert sich Arbeit? Im BMBF-Förderschwerpunkt "Betriebliches Kompetenzmanagement im demografischen Wandel" befassen sich bundesweit Fachleute in 31 Verbundprojekten mit den Folgen des demografischen Wandels und der modernen digitalisierten Arbeitswelt. Und in der lebt und arbeitet noch immer der Mensch - mit all seinen Fähigkeiten, Stärken und Schwächen. Wie sehen Arbeitsumgebungen aus, die Gesundheit und Lernen fördern? Wie geben ältere Ärzte, IT-Führungskräfte oder Fachleute im Maschinenbau ihr Wissen weiter? Wie erleben Jüngere nach Abschluss der ersten Bildungsphasen ihre Karriereperspektiven? Und wie entwickeln Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in mittelständischen Betrieben - ob im Handwerk, in der Landwirtschaft oder in der Pflege - notwendige Kompetenzen?

Professorin Inga Truschkat und Professor Ralf Knackstedt leiten die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 1,2 Millionen Euro geförderte wissenschaftliche Begleitforschung (http://www.indeko-navi.de/). Um das bundesweite Forschungsprojekt nach Hildesheim zu holen, war der interdisziplinäre Wissensaustausch wertvoll. Der Wirtschaftsinformatiker Ralf Knackstedt entwickelt schon seit seiner Promotion Forschungsportale im Internet und wendet diese Kenntnisse nun weiter an. "Wissenskarten sind ein Mittel, um sichtbar zu machen, wo das Wissen in Deutschland wächst und wer sich mit welchen Forschungsfragen tatsächlich beschäftigt. Wir können Trends erkennen", sagt Knackstedt. Die Sozial- und Organisationspädagogin Inga Truschkat geht in ihrer Forschung der Frage nach, wie Übergänge in Arbeit gelingen und wie Organisationen ihr Personalmanagement weiterentwickeln. "Wir haben gemeinsam eine Skizze und eine aufwendige Vorhabensbeschreibung erarbeitet und damit den Zuschlag vom Bundesministerium bekommen", erinnert sich Knackstedt an das Antragsverfahren. Das fünfköpfige Team der Stiftungsuniversität Hildesheim leitet die wissenschaftliche Begleitforschung gemeinsam mit einem Team der RWTH Aachen.

Das Hildesheimer Team, das die 31 Verbundprojekte - von Hamburg und Chemnitz über Stuttgart bis nach Wuppertal - koordiniert, kombiniert IT-Perspektiven und pädagogische sowie sozialwissenschaftliche Sichtweisen. "Unsere Kompetenzen fließen zusammen. Nur gemeinsam können wir untersuchen, wie sich Organisationen in einer digitalisierten Welt entwickeln", beurteilt Inga Truschkat die interdisziplinäre Zusammenarbeit. "Wir werfen unsere Fähigkeiten, Erfahrungen und Vorarbeiten in einen Topf und können damit eine innovative Begleitforschung entwickeln."

So bringen die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Luisa Peters und Miriam Sitter sowohl ihr sozial- und organisationspädagogisches als auch ihr diskursanalytisches Wissen in das Forschungsprojekt ein. "Wir beobachten etwa die Debattenlage rund um das betriebliche Kompetenzmanagement im demografischen Wandel. Wir fragen uns dabei, Welche Akteure sind an dieser Debatte beteiligt, wie arbeiten sie zusammen? Und welche Rolle spielen darin Themen wie Migration und eine humane Arbeitswelt?", so Sitter.

Wer forscht zu welcher Frage? Der Wirtschaftsinformatiker Julien Hofer entwickelt Wissenskarten für das Projekt. Derzeit entsteht eine interaktive Forschungslandkarte, sie zeigt, wo Wissen "liegt" und verschafft einen Überblick. Dieser moderne "Atlas" ist über das Internet verfügbar. "Ich baue interaktive Grafiken, über sie können sich Beteiligte aus Forschung und Praxis vernetzen", sagt der Wissenschaftler, der für die Forschung von Hamburg nach Hildesheim gezogen ist. "Wir wollen Wissen besser verfügbar machen und Forschungserkenntnisse in die Breite tragen."

Warum sich die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit dem Kompetenzmanagement in Betrieben beschäftigen, verdeutlicht ein Blick in die Praxis. Harsum, im Frühjahr 2016 - der Personalchef eines mittelständischen Unternehmens zwischen Hannover und Hildesheim gibt Einblicke, wie der Betrieb zu seinen Auszubildenden gelangt. Derzeit entstehen die Kontakte über regionale Bewerbermessen und Veranstaltungen in Gymnasien. Viele der 20 Azubis der Schlote GmbH kommen aus dem Großraum Hannover, sagt der Personalleiter Torge Brandenburg. Bundesweit zählt das Unternehmen etwa 1200 Mitarbeiter, etwa 20 Prozent sind Industriekaufleute, der Rest arbeitet in gewerblich-technischen Berufen. "Sie beherrschen es nicht nur, große Dreh- und Fräsanalagen zu bedienen, sondern auch die Instandhaltung, die Wartung von mechanischen und elektronischen Teilen", sagt Brandenburg. Etwa 90 Prozent der Auszubildenden sind Männer.

Wie gelangen Betrieb und Arbeitnehmer zueinander? Das Harsumer Unternehmen setzt auf Auswahlverfahren, in denen zunächst "soft skills" abgefragt werden. Erst im zweiten Schritt blicken die Entscheider auf die formalen Voraussetzungen. Der Personalverantwortliche sagt, das sei ein Vorteil, jeder Bewerber habe somit die Chance, das Auswahlverfahren zu durchlaufen. "Wir richten uns nach den Talenten. Wir prüfen, wie der Bewerber und die Ansprüche an die Arbeitsstelle zueinander passen, zum Beispiel, ob jemand zu Genauigkeit neigt und sich somit in der Endkontrolle von Maschinen gut konzentrieren kann", sagt Torge Brandenburg. "In der Regel bewirbt sich der Topingenieur nicht auf den Posten als Staplerfahrer und umgekehrt." Um Vergleichbarkeit zwischen den Bewerbern zu schaffen, führt der Personalverantwortliche strukturierte Interviews.

Es werde "im Zuge des demografischen Wandels immer schwieriger, die Ausbildungs- und Arbeitsplätze gut zu besetzen, weshalb auch neue Auswahlmethoden zum Zuge kommen", sagt Professorin Inga Truschkat. Das Harsumer Unternehmen startet gemeinsam mit der Industrie- und Handwerkskammer und etwa 20 Mittelständlern in Niedersachsen im Frühjahr 2016 einen regionalen Bewerberpool. Wenn ein Bewerber bei einem Unternehmen nur die "zweite Wahl" - aber dennoch gut qualifiziert - ist und nicht eingestellt werden kann, da nur eine Stelle zur Verfügung steht, erhält der Bewerber keine Absage, sondern kann sich bei den anderen Unternehmen in dem Netzwerk bewerben. "Auch andere Mittelständler fragen sich, wie sie in dieser Region im ländlichen Raum neben den Großen aus Hannover oder Wolfsburg zum Zuge kommen. Wir sind oft nicht sichtbar als Zulieferer. Wir wollen aufeinander aufmerksam machen. In Hannover sieht man uns nicht. In Langenhagen wissen die nichts von uns", sagt der Personalchef. "Wir teilen uns die Bewerber, wir geben Hinweise auf andere freie Stellen."

Wie sinnvoll sind solche Verfahren und Netzwerke auf der Suche nach qualifiziertem Personal? Das "vernetzte und regionale Kompetenzmanagement" sei ein derzeit "heiß diskutiertes Thema", aber bislang kaum im Alltag angekommen, sagt Truschkat. "Wie kann hier Kooperation entstehen, wenn man eigentlich um die klugen Köpfe konkurriert?", beschreibt die Wissenschaftlerin den Konflikt.

Unternehmen seien zunehmend dem Fachkräftemangel im Zuge des demografischen Wandels ausgesetzt. "Lange Zeit wirkte dies eher als Floskel, doch die zunehmenden Aktivitäten in diesem Bereich zeigen, dass die Auswirkungen langsam spürbar werden. Ein typisches Zitat, dass ich hierzu gehört habe, war: ‚Früher haben wir um die Aufträge konkurriert, jetzt um die Fachkräfte‘", berichtet Inga Truschkat.

INFO: Über das Forschungsprojekt

Der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Förderschwerpunkt befasst sich mit dem betrieblichen Kompetenzmanagement im demografischen Wandel. Hierzu forschen bundesweit 31 Verbundprojekte im Zeitraum von 2014 bis 2018.
Die wissenschaftliche Begleitforschung "Integratives demografiesensibles Kompetenzmanagement (InDeko.Navi)" startete Ende 2015 und verbindet das Institut für Betriebswirtschaft und Wirtschaftsinformatik und das Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim mit dem Lehrstuhl für Technik- und Organisationssoziologie gemeinsam mit der Professur für Innovations- und Zukunftsforschung der RWTH Aachen. Mitte Februar 2016 fand in Hildesheim die erste Förderschwerpunkttagung "Kompetenzen vernetzen" statt.
Mit dem demografischen Wandel stellen sich für die Unternehmenspraxis im Hinblick auf ihre Innovationskraft sowie Produktivität neue Fragen unter anderem zu flexibleren Produktionszyklen, Technologiewechseln und neuen Formen der Unternehmensorganisation. Arbeitsprozesse werden immer schneller, flexibler und autonomer. Damit werden altersübergreifend hohe Anforderungen an das Wissen und Können von Beschäftigten gestellt. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, entwickeln die Fachleute zum Beispiel Online-Coachings und Präsenztrainings zum nachhaltigen Kompetenzaufbau. Wenn ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ruhestand gehen, kann eine Menge an Wissen verloren gehen. Eine weitere Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit dem Erhalt und der Weitergabe von Erfahrungswissen von älteren Beschäftigten.
Neben der Betrachtung auf nationaler Ebene wurden auf der Hildesheimer Tagung regionale Aspekte des Kompetenzmanagements aufgegriffen. Mehr Einblicke in die Forschung bietet die Internetseite des Projekts: Öffnet einen externen Link in einem neuen Fensterhttp://www.indeko-navi.de/

INFO: Wirtschaftsinformatik und Sozial- und Organisationspädagogik: Gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit geht weiter: Inga Truschkat und Ralf Knackstedt setzen auch in der Lehre an und bieten im Sommersemester gemeinsam ein Seminar für Studentinnen und Studenten in den Bereichen Wirtschaftsinformatik, Informationstechnologie und Sozial- und Organisationspädagogik an. Warum sie zusammen im Seminar sitzen? "Es geht schließlich um Organisationsgestaltung, wir haben nur unterschiedliche Methoden und Instrumente, die im Vordergrund stehen. In der Wirtschaftsinformatik können wir zum Beispiel sehr gut Prozesse dokumentieren und formal aufschreiben und anhand von Visualisierungen konkret diskutieren, was sich in Unternehmen verändern muss", sagt Professor Knackstedt. "Während wir uns auf Informationssysteme konzentrieren, rücken andere Bereiche in den Hintergrund, wie man sinnvoll Gespräche führt, wie man Menschen so abholt, dass sie auch veränderungsbereit sind für die Organisationsgestaltung. Hier kommen die Fachleute für Sozial- und Organisationspädagogik ins Spiel. Sie denken sich in die menschliche Komponente für Organisationsgestaltung rein und davon können unsere Wirtschaftsinformatiker heftig profitieren. Denn letztlich müssen sie das auch können, damit ihre IT-Projekte funktionieren." Sozial- und Organisationspädagogik zeigt, "dass das, was in Organisationen geschieht, etwas mit Machtdynamiken und informellen Regeln zu tun hat und öffnet den Blick für eine partizipative Organisationsgestaltung", so Professorin Truschkat.

INFO: Forschungsschwerpunkt in Hildesheim: Übergänge in Arbeit

Was bedeutet der Übergang - zum Beispiel von der Schule in einen Ausbildungsplatz und später in einen Arbeitsplatz - eigentlich für eine Person? Übergänge sind "Veränderungsphasen im Leben, die biographisch bewältigt werden müssen", sagt die Sozial- und Organisationspädagogin Inga Truschkat. Oftmals erleben junge Erwachsene mehrere Veränderungen gleichzeitig, etwa die Ablösung von den Eltern, eine erste eigene Wohnung, Liebesbeziehungen und Freundschaften.

"Die Gestaltung des Übergangs endet nicht mit dem unterschriebenen Arbeitsvertrag, sondern muss auch nach Eintritt in das Unternehmen gestaltet werden", so Truschkat über die Verantwortung der Arbeitgeber. Größere Unternehmen setzen zum Beispiel "Ausbildungsbegleiter" ein, die Ansprechpartner für die Azubis sind. "Oftmals sind diese auch am Auswahlprozess beteiligt. Aktuelle Forschungen zeigen aber auf, dass das Selbstverständnis dieser Begleiter sehr unterschiedlich sein kann. Sie agieren einerseits als Vorgesetzte und als Vertreter der Organisation und andererseits als Pädagogen. Das erzeugt durchaus Ambivalenz", sagt die Hildesheimer Professorin.

In der Grundlagenforschung im Bereich "Übergänge" untersuchen die Hildesheimer Wissenschaftlerinnen derzeit in einem DFG-Projekt gemeinsam mit den Universitäten Flensburg, Frankfurt, Tübingen und Luxemburg, wie Übergänge von der Schule in den Beruf und Übergänge in Arbeit im Erwachsenenalter verlaufen. Dabei blicken sie vor allem auch auf die "Pädagogisierung der Übergänge" durch eine Zunahme der Beratungs- und Begleitungsdienstleistungen in diesem Bereich.




alttext    

 

Socials

Fachzeitschriften