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DGPM: Psyche in der Pandemie: Kanzlerin Merkels Ansprache reduzierte Angst und Depression

Die Coronavirus-Pandemie stellt für viele Menschen eine enorme psychische Belastung dar. Wer ist psychisch besonders gefährdet, und welche Faktoren wirken stabilisierend? Für eine Untersuchung zur mentalen und physischen Verfassung während der Pandemie hat ein Forschungsteam der Universität Duisburg-Essen fortlaufend fast 25.000 Menschen online befragt. Professor Dr. med. Martin Teufel zieht für die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) eine Zwischenbilanz.

Um Veränderungen des seelischen und gesundheitlichen Zustands vor und nach dem Covid-19-Ausbruch zu untersuchen, hat die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der LVR-Kliniken Essen ab dem 10. März 2020 eine breit angelegte, anonyme Online-Studie durchgeführt, die bis heute andauert. Erhoben werden Angaben zu Alter und Geschlecht, zu Symptomen für Depressionen und Angst, zu negativer Stressbelastung und zum Gesundheitszustand. „Wir wollen herausfinden, welche Faktoren mit einer Verschlechterung des psychischen Zustands und welche mit einer Entlastung verbunden sind“, erklärt DGPM-Experte Professor Dr. med. Martin Teufel, der als Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie die Studie leitet.

Frauen und jüngere Menschen psychisch stärker belastet

Generell ergab die Umfrage, dass eine deutliche Mehrheit der Befragten unter psychisch belastendem Stress (65 Prozent) und Covid-19-bezogener Furcht (59 Prozent) leiden. „Man könnte sagen: Bis zu einem gewissen Grad sind wir alle Patienten in der Pandemie“, bilanziert Teufel. „Dabei berichteten Frauen und junge Menschen über eine insgesamt höhere seelische Belastung als der Durchschnitt.“ Dies könnte bei Frauen an der häufigen Doppelbelastung durch Homeoffice und Homeschooling liegen; Heranwachsenden wiederum setzten vermutlich Bildungssorgen zu, verbunden mit der Einschränkung der wichtigen Interaktion in Peer-Groups.

Menschen mit psychischen Vorerkrankungen sind besonders gefährdet

Am deutlichsten unter den Begleiterscheinungen der Pandemie aber leiden Menschen mit psychischen Vorerkrankungen wie Depression, Angsterkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen. „Sie sind besonders gefährdet“, betont Teufel. „Viele berichten über verstärkte Symptome wie Schlafstörungen oder Antriebslosigkeit.“ Ursachen dafür können der Wegfall von psychotherapeutischen Behandlungen und Aktivitäten sein, die aus depressiven Episoden heraushelfen. Auch Menschen mit neurotizistischen Tendenzen fehle das interaktionelle zwischenmenschliche Korrektiv ganz besonders, die Spiegelung im Sportverein, in der Familie oder durch Arbeitskollegen, um im seelischen Gleichgewicht zu bleiben.

„Für Menschen mit psychischen Vorerkrankungen ist es daher wichtig, in der Zeit der Pandemie auf psychologische Unterstützung über Telefonate, Videositzungen oder online zurückgreifen zu können“, sagt Teufel. Eines dieser Angebote ist das Online-Unterstützungsprogramm CoPE It, das die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LVR-Klinikum Essen entwickelt hat (www.cope-corona.de). Das Programm besteht aus vier Modulen und stellt allen, die unter depressiven Symptomen wie Ängstlichkeit, Antriebslosigkeit oder Ärger leiden, Expertenwissen und Selbsthilfe-Trainings in Form von interaktiven Übungen, Podcasts und Videos zur Verfügung.

Krebspatienten bleiben in der Pandemie seelisch relativ stabil

Weiteres Ergebnis der Online-Befragung: Menschen mit organischen Leiden wie Krebs oder Herzkreislauferkrankungen gaben keine höhere negative Stressbelastung oder Covid-19-bezogene Angst als gesunde Studienteilnehmer an. „Das ist ein beruhigender Befund“, stellt Teufel fest. „Patienten mit chronischen Erkrankungen stabilisieren ihre seelische Situation ganz offenbar durch angemessenes Sicherheitsverhalten, indem sie sich etwa häufig die Hände waschen oder öffentliche Plätze meiden“, erklärt der DGPM-Experte.

Informiertheit und Vertrauen in die Regierung wirken entlastend

In ihrer Studie identifizierten die Wissenschaftler auch Faktoren, die in der Pandemie psychisch entlastend wirken. Zu diesen Prädiktoren zählen Informiertheit über das Geschehen sowie Vertrauen ins Handeln der Politik. „Die Untersuchung zeigt klar auf: Wer sich subjektiv gut informiert fühlt oder Vertrauen in die staatlichen Maßnahmen hat, leidet weniger unter Covid-19-bezogener Angst oder psychischer Belastung“, berichtet Teufel.

Kanzlerin-Ansprache reduzierte Angst und Depression

Idealerweise fällt beides zusammen und führt dann zu einer spürbaren Entlastung. „Wir konnten an den Daten klar erkennen, dass die Fernsehansprache von Kanzlerin Angela Merkel im März 2020 Angst und Depression in der deutschen Bevölkerung reduzierte“, so Teufel. „Dies zeigt, wie wichtig es in Krisensituationen sein kann, dass Regierungen transparent und verständlich informieren, um Vertrauen herzustellen. Konservative Medien können Menschen zielführend erreichen.“

Während die deutsche Regierungschefin also beim Krisenmanagement durch Aufklärung gut abschneidet, zeichnen vergleichbare Daten aus China und Russland, an denen die Arbeitsgruppe aus Nordrhein-Westfalen ebenfalls beteiligt war, ein anderes Bild. „Die Rückmeldungen von mehr als 23.000 russischen Bürgern belegen ein viel geringeres Vertrauen in die Regierung als erwartet“, berichtet Teufel. „Gleichzeitig konsumieren die Menschen dort mehr Nachrichten im Internet, was ihre Ängste weiter steigert.“

Selbstwirksamkeit durch Aufklärung

Sämtliche Analysen der Essener Studien kommen damit zu demselben zentralen Ergebnis: Wer sich in der Pandemie gut informiert fühlt, hat weniger Angst. „Nachvollziehbare Informationen fördern die individuelle Selbstwirksamkeit, die Einstellung, Dinge ein Stück weit selbst in der Hand zu haben und einer bedrohlichen Situation begegnen zu können – etwa mit Sicherheitsmaßnahmen zur Abwehr einer Covid-19-Infektion“, bestätigt Privatdozent Dr. med. Florian Junne, stellvertretender Ärztlicher Direktor der Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Tübingen. „So gelingt es Menschen, ihre Angst unter Kontrolle zu halten und nicht lähmend werden zu lassen“, fügt der DGPM-Experte aus Tübingen hinzu.

Formen der Pseudo-Kontrolle: Horten von Toilettenpapier, Leugnen, Verschwörungstheorien

Daneben gibt es Ausprägungen von Pseudo-Kontrolle. „Darunter fällt beispielsweise das massenhafte Horten von Klopapier oder hochkalorischen Lebensmitteln“, zählt Teufel auf. „Aber auch das vollständige Leugnen der Gefährlichkeit des Virus oder gar Verschwörungserzählungen können im Sinne psychologischer Abwehrmechanismen verstanden werden – als Korrelate intrapsychischer Vorgänge, um mit Unsicherheit und Angst umzugehen“, so Teufel.


Pressemitteilung: https://idw-online.de/de/news761589




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