Ein erfolgreicher, unbescholtener Manager verliert im bosnischen Bürgerkrieg Firma, Hab und Gut, flieht mit der Familie nach Berlin, wird zum arbeitslosen Bittsteller. Seine attraktive Frau findet eine Arbeitsstelle im Service - und männliches Interesse bei Kollegen. Eifersucht des Arbeitslosen bleibt nicht aus, die Frau reagiert provokant mit Demütigungen; ihr Mann betrinkt sich - und ersticht sie. Er hat sie geliebt. Jetzt hockt er, ohne sich selbst zu verstehen und ohne Perspektive in seiner Zelle. Murach nennt die Behausung "Wohnklo". Das ganze Gefängnis besteht aus neben- und übereinander gestapelten "Wohnklos", in die Männer eingeschlossen werden. Der Einschluss soll die Straftäter auf ein angepasstes, legales Leben in Freiheit vorbereiten. Ob sich die Isolation im "Wohnklo" dazu wirklich wirksam eignet, bleibt eine absurde Frage. In der Knastrealität ist Absurdität das Normale.
Die Sozialtherapie von Murach und KollegInnen versucht, die Perspektivlosigkeit zu öffnen - mit selbstkritisch-realistischem Blick auf ein künftig selbstbestimmtes Leben in Freiheit. Die Psychotherapie hat ein wissenschaftlich ausgefeiltes Instrumentarium für diese Aufgabe entwickelt. Doch sie ist v.a. deshalb so herausfordernd, weil die menschliche Beziehung zwischen Therapeut und Klient der entscheidende Erfolgs- oder Misserfolgsfaktor ist. Daher wird viel gesprochen, gelegentlich auch zuviel.
Murach erinnert sich an eine ganz andere Begegnung mit dem "lebenslangen" Hans K., der eine ´widerspenstige´ Frau erschossen hat: "Ich sehe ihn sitzen, wie er regungslos, hellwach und todernst schweigt und höre seinem Schweigen zu. Für einige spannungsgeladene Minuten. Ein Mann steht in seinem Inneren vor dem, was er angerichtet hat. Vor dem Schrecken dieser Bilder und deren Wirkung in ihm, und er gibt dem keine Sprache.
Konnte er nicht? Wollte er nicht? Hat er nur der Versuchung widerstanden, durch Reden beschreiben zu wollen, was sich der Grobkörnigkeit unserer Sprache entzieht? Ist das Schweigen am Ende die tiefergelegene Antwort auf das ´warum´? Eine Antwort, die das ganze ermüdende Gestrüpp der üblichen nachträglichen ´Erklärungen´ solcher Taten hinter sich gelassen hat. Erklärungen, gestrickt aus all den fruchtlosen Rechtfertigungen, Schuldzuweisungen und ´späten Einsichten´, den Schönredereien bis hin zu sich anbiedernder ´Reue ´, in denen sich regelmäßig die meisten verfangen.
Wir haben es ohne jedes weitere Wort zwischen uns bei der Stille belassen. Aus dem sicheren Gefühl heraus, uns richtig verstanden zu haben. Wir haben den Kaffee ausgetrunken und uns mit geradem Blick in die Augen, deutlich eine Sekunde länger als sonst, verabschiedet. Auch später kein Wort mehr darüber. Kann ein Mann mit einer solchen Geschichte viel weiter kommen?"
Michael Murach: Die Kunst sich im Krisenfall zu behaupten, ohne es dabei mit sich selbst oder mit dem Anderen zu verderben -
Das Gefängnis als Lehranstalt.
Pabst, 210 S. Paperback ISBN 978-3-95853-219-8, eBook ISBN 978-3-95853-920-4