Die Erinnerungen an erlebte Dinge, das sogenannte episodische Gedächtnis, gelten als besonders anfällig für Verzerrungen und Fehler. Allerdings betreffen die Ungenauigkeiten nicht so sehr die Hauptaussagen oder das Hauptmotiv des Erlebten, sondern die Details. "Dies ist kein krankhafter Prozess, denn das Gedächtnis muss eine Balance zwischen dem ökonomischen Umgang mit seiner Speicherkapazität und der benötigten Genauigkeit der Erinnerungen finden", erklärt Christian Plewnia. Es war bereits bekannt, dass ein bestimmter Bereich der Großhirnrinde im linken Stirnlappen an der Steuerung dieser Vorgänge beteiligt ist. Die Nervenzellen im Gehirn verständigen sich untereinander über elektrische Reizleitung. Daher können Wissenschaftler durch schwache Stromreize, die von außen an der entsprechenden Stelle des Kopfes gegeben werden, die Erregbarkeit einzelner Hirnbereiche beeinflussen.
Die Tübinger Wissenschaftler unter der Leitung von Christian Plewnia teilten für ihre Experimente 96 Probanden in drei Gruppen ein: Alle wurden verkabelt, doch nur bei zwei der Gruppen wurde das Gehirn der Probanden tatsächlich gezielt mit schwachen Stromreizen verschiedener Polarität (anodal oder kathodal) stimuliert. In zehn Minuten wurden ihnen 90 Bilder von alltäglichen Situationen und Objekten gezeigt, etwa von Bäumen, Häusern oder Bussen. Nach jedem Bild wurde eins von drei Symbolen präsentiert, das die Probanden instruierte, sich an das vorherige Bild zu erinnern, es zu vergessen oder ohne weitere Vorgabe. So erreichten die Forscher, dass die Probanden die Bilder unterschiedlich intensiv abspeicherten. Für die Wiedererkennungsphase mischten sie die bekannten Bilder mit ähnlichen neuen Bildern, der gleiche Baum zu anderer Jahreszeit, die Häuserzeile aus anderer Perspektive oder der vormals gelbe Bus in Rot. Die Probanden sollten aus den nun 180 Bildern alle identifizieren, die sie bereits kannten - unabhängig von den früheren Anweisungen.
Bei der korrekten Wiedererkennung bereits bekannter Bilder unterschieden sich die Leistungen der drei Gruppen nicht. Nur ein Effekt der Anweisungen aus der ersten Testphase ergab sich: Alle identifizierten besser die alten Bilder, an die sie sich erinnern sollten. Deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen ergaben sich jedoch bei der Rate der fälschlicherweise als bekannt bezeichneten Bilder: Im Vergleich mit der Kontrollgruppe zeigten Probanden, die Stromreize mit kathodaler Polarität erhielten, eine deutlich geringere Fehlerrate und solche, die mit Stromreizen anodaler Polarität behandelt wurden, eine deutlich gesteigerte Fehlerrate. "Die Muster der korrekten und falschen Bild-wiedererkennung legen nahe, dass durch die Stromreize die Genauigkeit bei der falschen Wiedererkennung moduliert wird", stellt Christian Plewnia fest. "Wir wissen nun zum einen, dass die Stimulation polaritätsspezifisch wirkt und zum anderen, dass dieser Mechanismus vom Aktivitätszustand des Gehirns abhängig ist." Einfach sind die Zusammenhänge nicht: Die Wissenschaftler können nun jedoch eine genauere Vorstellung der Funktion des entscheidenden Hirnbereichs entwickeln und der Prozesse, wie dieser nützliche Erinnerungsspuren legt.