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Corona: Schulkinder greifen seltener zu Suchtmitteln, aber häufiger zu Nahrungsmitteln

In der Corona-Pandemie kamen deutlich weniger Schulkinder wegen Alkoholmissbrauchs ins Krankenhaus oder die Arztpraxis. 2020 lagen die Behandlungen von Kindern und Jugendlichen mit Folgen von exzessivem Alkoholkonsum rund 30 Prozent niedriger als im Vorjahr. Auch bei Tabak, Cannabis und weiteren Drogen zeigt sich ein Rückgang: Insgesamt wurden 18 Prozent weniger Kinder und Jugendliche aufgrund von Suchtmittelmissbrauch behandelt. Das ist das Ergebnis des aktuellen Kinder- und Jugendreports der DAK-Gesundheit.

Für den Report untersuchten Wissenschaftler von Vandage und der Universität Bielefeld anonymisierte Abrechnungsdaten von rund 800.000 Kindern und Jugendlichen im Alter bis 17 Jahren, die bei der DAK-Gesundheit versichert sind. Analysiert wurden die Jahre 2018 bis 2020. Die Daten belegen einen Anstieg von Depressionserkrankungen bei älteren Jugendlichen sowie eine Zunahme von Adipositas vor allem bei unter 10-Jährigen. Sorge bereitet Experten der Rückgang von HPV-Impfungen zur Gebärmutterhalskrebsvorsorge. 

Die aktuellen Analysen und Experten-Einschätzungen bestärken die DAK-Gesundheit in ihrer Forderung nach einer Enquete-Kommission zur Kinder- und Jugendgesundheit im Deutschen Bundestag. „Unser aktueller Report offenbart einen dringenden Handlungsbedarf in vielen Facetten der Kinder- und Jugendgesundheit“, so Kassenchef Storm. „Die neue Bundesregierung muss dem Thema Kinder- und Jugendgesundheit ein deutlich stärkeres Gewicht geben. Die Einrichtung einer Enquete-Kommission ist hier aus meiner Sicht der richtige Weg. Vielen Kindern und Jugendlichen in diesem Land geht es nicht gut. Wir müssen etwas tun.“

Die Behandlungen von exzessivem Suchtmittelkonsum waren im vergangenen Pandemie-Jahr rückläufig. „Wir müssen den Rückgang des Suchtmittelkonsums bei Jugendlichen vorsichtig interpretieren“, so Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte. „Er kann auch damit zusammenhängen, dass Eltern stark mit sich selbst beschäftigt waren, damit weniger Probleme bei den Kindern auffielen und deshalb auch weniger behandelt wurden. Der Rückgang bei missbräuchlichem Alkoholkonsum ist aber sicherlich auch auf weniger Partys zurückzuführen.“ Auch die Analysedaten zeigen eine Verbindung zwischen familiärer Situation und Suchtverhalten. Ist mindestens ein Elternteil suchtkrank, ist für das Kind das Suchtmittelmissbrauch-Risiko und eine damit verbundene ärztliche Behandlung um das 2,5-fache erhöht. Leidet ein Kind unter Depressionen, ist das Risiko, dass es wegen Suchtmittelmissbrauch behandelt werden muss, sogar fast 13-mal höher als bei nicht-depressiven Gleichaltrigen. Ein Problem, das insbesondere während der Pandemie und damit verbundener höherer psychischer Belastungen für Familien und Kinder deutlich zugenommen hat.

Die Daten des DAK-Kinder- und Jugendreports zeigen, dass die Corona-Pandemie je nach Alter unterschiedliche Auswirkungen auf die Gesundheit und Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen hat. So stieg der Anteil der 15- bis 17-Jährigen, die 2020 neu an einer Depression erkrankt waren, um acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Mädchen sind hier im späten Jugendalter dreimal so häufig aufgrund von Depressionen in ärztlicher Behandlung wie gleichaltrige Jungen. In der Altersgruppe fünf bis neun Jahre hingegen gibt es im Bereich Depressionen einen Rückgang um knapp zwölf Prozent. Diese Altersgruppe verzeichnet aber eine deutlich höhere Adipositas-Neuerkrankungsrate: 2020 wurden rund 16 Prozent mehr Grundschulkinder erstmals wegen einer Adipositas ärztlich behandelt. Bei den älteren Teenagern blieb die Zahl 2020 im Vergleich zu 2019 konstant.   

„Seit Pandemie-Beginn haben psychische Störungen und Einweisungen in die Kinder- und Jugendpsychiatrie spürbar zugenommen. Die Diagnosequalität ist aber unklar. Vielleicht wurden auch Anpassungsstörungen überdiagnostiziert“, sagt Fischbach. Daten des Kinder- und Jugendreportes bestätigen, dass nach dem ersten bundesweiten Lockdown im März und April 2020 Fachärztinnen und -ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten die einzige Ärztegruppe waren, die im Gegensatz zum Vorjahr steigende Fallzahlen verzeichneten. „Im Kontext Adipositas schlägt der Bewegungsmangel der Kinder und Jugendlichen stark zu Buche“, so Fischbach weiter. „Die familiäre Situation ist hier entscheidend. Denn übermäßiges Essen kann auch eine Ersatzbefriedigung darstellen, wenn die Eltern keine Zeit für ihre Kinder haben.“ 

Grundsätzlich sind 2020 mehr Impfungen bei Kindern und Jugendlichen als im Vorjahr durchgeführt worden. Gleichzeitig verringerte sich aber der Anteil an HPV-Impfungen deutlich. So erhielten 14 Prozent weniger Mädchen eine HPV-Impfung. Humane Papillomviren (HPV) werden sexuell übertragen und können Gebärmutterhalskrebs hervorrufen. Eine Impfung sollte idealerweise vor dem ersten Geschlechtsverkehr erfolgen. „Wir sehen den Rückgang der HPV-Impfungen mit Sorge“, so Fischbach. „Insgesamt haben Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte die Tatsache, dass weniger Kinder und Jugendliche in den Praxen waren, für mehr Impfungen und Früherkennungsuntersuchungen genutzt. Vielleicht haben wir dabei die Zielgruppe für die HPV-Impfung nicht erreicht. Dies sollte im kommenden Jahr durch mehr Aufklärungs- und Informationsarbeit nachgeholt werden.“

Im Pandemie-Jahr 2020 sank der Anteil der Kinder und Jugendlichen, denen Antibiotika verschrieben wurde, um ein Drittel (minus 33 Prozent). Insbesondere bei Reserve-Antibiotika ist eine deutliche Abnahme von minus 38 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu beobachten. Besonders groß ist der Rückgang bei Kleinkindern unter fünf Jahren (minus 42 Prozent). Insgesamt wurden 20 Prozent weniger Arzneimittel für Kinder und Jugendliche verordnet. Ein wichtiger Faktor hierbei ist die geringere Zahl an Infektionskrankheiten, deren Behandlung 2020 ebenfalls um 20 Prozent zurückging. „Die Corona-Pandemie hat definitiv dazu geführt, dass weniger Antibiotika an Kinder und Jugendliche verschrieben wurde. Diese Tendenz war erwartbar“, ordnet Fischbach die Zahlen ein. „Der Rückgang zeigt aber auch, dass sich die Programme zum rationaleren Antibiotika-Gebrauch insbesondere in der Pädiatrie positiv auswirken. Hier tragen unsere Initiativen wertvolle Früchte.“
 

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