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Bosnien-Herzegowina: Eine Million Menschen leidet unter Psychotraumata

Touristen bereisen das Land mit "Survival Maps" und verfolgen die Spuren des Bosnien-Kriegs. Serben begannen ihn vor zwanzig Jahren: Mehr als 100.000 Menschen starben - etwa zweieinhalb Prozent der Bevölkerung. Die körperlichen und die seelischen Verletzungen dauern bis heute an. Psychologen schätzen, dass mehr als 25 Prozent der Bevölkerung unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet.

Teil- und zeitweise kann die Erkrankung abklingen, doch oft überraschend eruptiv eine Katastrophe auslösen. Kürzlich rannte eine grell geschminkte Frau durch Sarajewo und erstach einen zufälligen Passanten; sie war während des Krieges von einer Horde serbischer Freischärler wochenlang missbraucht worden und hat sich seither scheinbar unauffällig verhalten.

Innerhalb von fünf Jahren wurden allein in der psychiatrischen Klinik in Tuzla mehr als 8000 Patienten ambulant behandelt: Bei fast 75 Prozent diagnostizierten die Ärzte neben anderen Erkrankungen eine posttraumatische Belastungsstörung, berichtet Dr. Trudy Mooren in ihrer Studie "Mental Health Consequences of War and Migration - The Case of Bosnia-Herzegovina". Eine Untersuchung von 103 niedergelassenen praktischen Ärzten ergab, dass 88% traumatische Kriegserfahrungen erlebt haben und 18% nach wie vor unter einer posttraumatischen Belastungsstörung litten.

Nahezu die Hälfte der etwa 4,4 Millionen Einwohner von Bosnia-Herzegowina wurde durch den Krieg vertrieben. Die Mehrheit bemüht sich um eine Rückkehr - auch unter schwierigsten Bedingungen -, wenn dies ein wirtschaftliches Auskommen ermöglicht, stellten Dr. Goran Opacic und Kollegen in einer Studie fest. Betroffene nehmen es oft auch inkauf, in der Nachbarschaft mit ehemaligen Peinigern zu leben. Den Ausschlag gibt meist die Frage: Wo habe ich ein Dach über dem Kopf und eine Existenzmöglichkeit? Die wirtschaftliche Not stabilisiert alle sozialen Missstände: Die Arbeitslosigkeit liegt seit Jahren bei knapp 50%. Korruption und Kriminalität prosperieren. 

Im Gegensatz zu den seinerzeitigen Kriegsgegnern Serbien und Kroatien sieht Bosnien-Herzegowina - gespalten in serbische, kroatische, muslimische Gruppen - keine Perspektiven in Europa. Die Hauptstadt Sarajewo wirkt mit ihrem multikulturellen Flair und einem schrill prosperierenden Dauerbelustigungsgewerbe als Magnet auf  Individual- und Kollektiv- Touristen. Meist unbeachtet und unbehandelt bleiben annähernd eine Million Menschen, deren psychische Traumata ein auch nur annähernd normales Leben verhindern.

 

Literatur zum Thema:
Migration, Integration, and Health: The Danube Region
Traue, H.C.; Johler, R.; Jancovic Gavrilovic, J. (Eds.)




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