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Beschneidungen von Mädchen sind Familiensache und keine allgegenwärtige soziale Norm

Eine neue Studie von Forschern der Universität Zürich stellt die vorherrschende Auffassung über die Ursachen der Mädchenbeschneidung in Frage. Gemäss dieser Auffassung beschneiden Familien ihre Töchter, um den Erwartungen anderer Familien zu entsprechen. Die in Science veröffentlichte Studie zeigt aber, dass das Beschneidungsverhalten von Familien sehr unterschiedlich ist und persönliche Wertvorstellungen innerhalb von Familien eine wichtige Rolle spielen. Diese Resultate stellen die Annahmen vieler Kampagnen gegen Mädchenbeschneidungen in Frage.

Weltweit sind rund 125 Millionen Mädchen und Frauen trotz weitreichender Gesundheitsschäden beschnitten. Entwicklungsorganisationen investieren jährlich erhebliche Ressourcen in Hilfsprogramme gegen die Mädchenbeschneidung. Diese Programme basieren oft auf der Annahme, dass Mädchenbeschneidungen einer tief verwurzelten sozialen Norm entsprechen, der zufolge Familien ihre Töchter beschneiden um sozialen Erwartungen zu entsprechen.

Falls eine Beschneidungsnorm existiert, stimmen sich die Familien einer Gemeinschaft dahingehend ab, dass alle ihre Töchter beschneiden und zugleich beschnittene Frauen für ihre Söhne verlangen. «Gemäss dieser Theorie entsteht daher für die Familien ein Anreiz ihre Töchter zu beschneiden, um sie als erwachsene Frauen verheiraten zu können. Eine einzelne Familie kann sich somit nicht abweichend verhalten, ohne stigmatisiert zu werden», erklärt Sonja Vogt vom Department of Economics der Universität Zürich, eine der Hauptautoren der Studie.

Dieselbe Logik gilt auch für den Fall, dass die sozialen Erwartungen die Beschneidung stigmatisieren: keine Familie beschneidet dann ihre Töchter und verlangt beschnittene Frauen für ihre Söhne. Falls das soziale Umfeld tatsächlich ausschlaggebend für oder gegen Beschneidungen ist, muss man davon ausgehen, dass diese in dem betreffenden Gebiet universell angewandt werden oder komplett darauf verzichtet wird.

Die Studie der Universität Zürich zeigt jedoch, dass nicht nur zwischen, sondern insbesondere auch innerhalb der Gemeinden sich Familien enorm in ihren Einstellungen und ihrem Beschneidungsverhalten unterscheiden. So sagt Charles Efferson, ebenfalls Hauptautor der Studie: «Familien, die ihre Töchter beschneiden und solche, die ihre Töchter nicht beschneiden, wohnen quasi Tür an Tür.»
Öffentliche Kundgebungen hinterfragen

Die Ergebnisse der neuen Studie stellen den weitverbreiteten Ansatz von Hilfsorganisationen, Mädchenbeschneidung mittels öffentlicher Kundgebungen zu bekämpfen, in Frage. Öffentliche Kundgebungen sollen erreichen, dass genügend Familien sich öffentlich gegen Mädchenbeschneidung aussprechen. Diese öffentlichen Aussagen sollen die Norm verändern und aufzeigen, dass unbeschnittene Töchter als erwachsene Frauen bessere Heiratschancen haben. Damit sollen mehr und mehr Familien dazu gebracht werden, ihre Töchter nicht mehr zu beschneiden.

Die Studienresultate stellen die Wirksamkeit von öffentlichen Kundgebungen in Frage. Aufgrund der enormen Heterogenität in den Einstellungen und dem Beschneidungsverhalten laufen die Entwicklungsorganisationen Gefahr, mit öffentlichen Kundgebungen lediglich jene Familien zu versammeln, die bereits dazu neigen, auf Beschneidung zu verzichten. «Auf die restlichen Familien der Gemeinschaft wird ein solcher Aufruf aber keinen grossen Einfluss haben. Denn Familien beschneiden ihre Töchter aus privaten Überzeugungen und nicht, weil sie sich gleich verhalten wollen wie die anderen», erklärt Sonja Vogt.

Literatur:
Charles Efferson, Sonja Vogt, Amy Elhadi, Hilal El Fadil Ahmed, Ernst Fehr. Female genital cutting is not a social coordination norm. Science. September 25, 2015. doi: 10.1126/science.aaa7978




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