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Befunde der psychologischen und der neurowissenschaftlichen Kausalforschung basieren auf unterschiedlichen philosophischen Ausgangsannahmen

In der Philosophie werden empirische Forschungsbefunde gern von den Vertretern verschiedener Positionen argumentativ so genutzt, als ob die Befunde selbst philosophisch neutral seien. Das ist aber nicht der Fall. Sowohl Forschungsmethoden als auch die von ihnen erzeugten Befunde sind philosophisch gehaltvoll. Vor allem basieren Kausalurteile der Klassischen Psychologie und der Neurowissenschaft auf sich teilweise widersprechenden Ausgangsannahmen. Vertreter der beiden Disziplinen verfolgen mit ihrer Kausalforschung unterschiedliche Ziele, sie arbeiten mit unterschiedlichen Kausalitätstheorien und nutzen verschiede Forschungsstrategien, um Kausalurteile zu fällen. Dr. Julia von Thienen entwickelt das Verfahren der Methodenanalyse, um die philosophische Basis einzelner Methoden und der von ihnen erzeugten Befunde abzuklären.

Um Inkonsistenzen zwischen verschiedenen Forschungsmethoden und ihren Befunden herauszuarbeiten, fragt die Autorin mit der Methodenanalyse, warum ein bestimmtes methodisches Vorgehen von seinen Vertretern jeweils als wissenschaftlich sinnvoll und seriös beurteilt wird. Die Thesen, die in der Literatur zur Begründung von Forschungsverfahren angeführt werden, artikulieren so die teils gegensätzlichen Vorannahmen und Zielstellungen verschiedener Forschungstraditionen.

Innerhalb der sozialwissenschaftlich orientierten Psychologie identifiziert Frau von Thienen drei verschiedene Kausalitätskonzepte, die hinter gängigen Verfahren der Kausalforschung stehen. In einigen Forschungszusammenhängen nutzen die Wissenschaftler einen liberalen, kontrafaktisch-interventionistischen Kausalbegriff. In anderen Zusammenhängen arbeiten sie mit einem strengen, probabilistisch-nomologischen Kausalverständnis. An wieder anderen Stellen kommt ein extrem strenger, deterministischer Kausalbegriff zum Tragen. Um methodische Handlungen und die so erzeugten Forschungsbefunde philosophisch zu systematisieren, führt die Autorin Methodenlandkarten ein. Anhand von aporetischen Thesenclustern wird gezeigt, dass verschiedene methodische Vorannahmen der quantitativ-experimentellen Kausalforschung tatsächlich nicht gleichzeitig für wahr gehalten werden können.

Ein weiterer Bruch der Forschungslogik trennt die Biopsychologie bzw. Neurowissenschaft von der sozialwissenschaftlich orientierten Psychologie. In systematischer Weise entwickeln diese Disziplinen verschiedenartige Methoden der Kausalforschung - auch wenn alle scheinbar einhellig angeben, dass sie Experimente zur Prüfung von Kausalhypothesen durchführen. Die Disziplinen verfolgen mit ihrer Kausalforschung unterschiedliche Ziele und bezeichnen unterschiedliche methodische Strategien als "Experiment".

Für die zeitgenössische, sozialwissenschaftliche Psychologie umfasst jedes Experiment mindestens zwei verschiedene Versuchsbedingungen (Bedingungsvariation). Das macht innerhalb dieser Forschungstradition Sinn, weil geklärt werden soll, ob verschiedene Werte einer unabhängigen Variablen (d.h. unterschiedliche Ausgangsbedingungen) geeignet sind, verschiedene Werte der abhängigen Variablen (und damit die interessierende "Wirkung") zu erklären. In der Biopsychologie werden demgegenüber auch Experimente mit nur einer einzigen Versuchsbedingung aufgesetzt, um Kausalhypothesen zu prüfen. Die Biopsychologie will ein Kausalgeschehen erklären, indem sie herausarbeitet, wie es physisch abläuft. Unterschiedliche Versuchsbedingungen braucht sie nur, wenn es schwer fällt, das interessierende Hirngeschehen von anderen, nicht-interessierenden Prozessen zu unterscheiden. Die resultierenden Kausalurteile der beiden Forschungstraditionen scheinen sich dann gelegentlich sogar wörtlich zu widersprechen. Umgekehrt artikulieren sogar Kausalsätze, die dem Wortlaut nach gleich klingen, durchaus unterschiedliche Behauptungen.

Um verschiedenen Forschungstraditionen trotz inkompatibler Ausgangsannahmen den Aufbau gemeinsamer Wissensbestände zu ermöglichen, wird das Konzept der "Kausalniveaus" eingeführt. Kausalniveaus basieren auf unterschiedlichen Maßgaben, von denen sich Wissenschaftler in der Praxis leiten lassen (können). Zum einen wird festgelegt, was überhaupt untersucht werden soll, wenn Ursachen und Wirkungen interessieren. Kommen beispielsweise nur Ereignisse oder auch Eigenschaften als Ursachen in Betracht? Ist es erforderlich, den interessierenden Ablauf raumzeitlich präzise einzugrenzen? Zum anderen geht es darum, wie Ursachen und Wirkungen beschrieben werden sollen. Ist es bspw. zulässig, werthaltige und teleologische Begriffe in der wissenschaftlichen Theoriebildung zu nutzen?

Durch die unterschiedlichen Forschungsmaßgaben gelingt es, auf den verschiedenen Kausalniveaus jeweils unterschiedliche Muster im Weltgeschehen sichtbar zu machen. Vor diesem Hintergrund argumentiert die Autorin, dass es sinnvoll ist, wenn verschiedene Arbeitstraditionen unterschiedliche methodologische Maßgaben befolgen - obwohl die von ihnen erzeugten Forschungsbefunde dann nicht unmittelbar mit einander kompatibel sind. An Beispielen demonstriert sie, wie gleichwohl fachübergreifend konsistente Wissensbestände gebildet werden können, indem ein Geschehen jeweils parallel auf verschiedenen Kausalniveaus beschrieben wird.


Julia von Thienen: Kausalniveaus – Eine Methodenanalyse zur Kausalforschung der Psychologie
Pabst, 316 Seiten, Paperback ISBN 978-3-89967-871-0
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