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Angehörige von Alkoholkranken vernachlässigen ihre eigenen Bedürfnisse und Träume

Welchen Belastungen sind Angehörige von Alkoholikern ausgesetzt? Kritisch konstatiert die erfahrene Sozialarbeiterin Bea Schild (Basel): "Partner/-innen wurden mit ihren Leiden bisher nicht als eigenständige Betroffene erforscht, sondern zur Mithilfe bei der Behandlung der Alkoholabhängigen beigezogen oder als Partner/-innen der Alkoholabhängigen in der Partnertherapie betrachtet." In ihrer Monografie "Partnerschaft und Alkohol" setzt Schild sich eingehend mit den Rollen, Belastungen und Entlastungsmöglichkeiten der Angehörigen auseinander.

Sie hinterfragt jahrzehntelang gültige Forschungsmeinungen, interpretiert neuere Forschungsergebnisse und diskutiert Formen von professioneller und Selbsthilfe.

Finanzielle Unsicherheit sowie der Umgang mit Unzuverlässigkeit, Sorgen um die Sicherheit der Erkrankten, Mangel an Kommunikation, Vertrauensverlust, Gewalt, Terror oder Missbrauch gehören zu den Stressfaktoren, mit denen sich Angehörige quasi täglich auseinandersetzen müssen. Angesichts dieser Bürden stellt die Transaktionsanalytikerin die Frage: "Wie können wir als Einzelne, Professionelle und als Gesellschaft, mit den heutigen Mitteln zum Wohle der Partner/-innen(...) umgehen?"

Wurde bisher davon ausgegangen, dass Scham- und Schuldgefühle der Angehörigen psychisch Kranker im Mittelpunkt ihrer Belastungen stehen, identifiziert der Psychiater  Dr. Hans Kurt ganz andere Schwerpunkte: Während etwa ein Drittel der Angehörigen Scham und Stigmatisierung und rund ein Fünftel Schuldgefühle empfinden, sind mit über 80% weit mehr Angehörige besorgt wegen mangelnder Information oder überfordert mit den Symptomen; fast ebenso viele fühlen sich hilflos und ohnmächtig; rund zwei Drittel der Befragten leiden selbst an gesundheitlichen Problemen und haben Zukunftsängste, jeder zweite trägt außergewöhnliche finanzielle Belastungen, viele erleben Trauer und Verlust, haben Angst vor Rückfall und Suizid oder kümmern sich in erheblichem Maße um die Kranken.

Schild geht davon aus, dass dies in ähnlicher Gewichtung auch für Angehörige Alkoholkranker gilt. Die Zahlen erfordern, so folgert sie, einen Paradigmenwechsel. Insbesondere die lange verbreitete Forschungsmeinung über Co-Abhängigkeit, d.h. Verhalten, durch das der oder die Angehörige die Sucht des Partners bzw. der Partnerin erhalten oder gar verstärken kann, bedarf der Revision, denn "diese Sichtweise betrachtet den Einfluss der Ehefrau auf den Alkoholiker und nicht den Einfluss des Alkohols auf die Ehe".

Doch wie kann den Angehörigen geholfen werden? Ganz allgemein, so zitiert Schild A. W. Schaef, bestünde "die Lösung für die Probleme im offenen Umgang, der es erlaubt, einander Bedürfnisse, Gefühle und Gedanken mitzuteilen. Dies vermindert Suchtverhalten." Wie in anderem Kontext auch, ist bei der Unterstützung Angehöriger von Suchtkranken die Ressourcenorientierung wichtig. Ressourcenorientierung, so zitiert Schild, "erhöht den Selbstwert (...) und dies wir ja gerade beabsichtigt."

Schild befürwortet Selbst- und Laienhilfe, jedoch "sind reine Angehörigengruppen, ohne Teilnahme der Erkrankten, sinnvoll, damit es Angehörigen Abhängigkeitskranker ermöglicht ist, sich auf ihre eigenen Nöte und Bedürfnisse zu konzentrieren." Als Selbsthilfegruppe lange Zeit von Fachleuten belächelt, gibt es bereits seit den vierziger Jahren neben den Anonymen Alkoholikern die Angehörigengruppe Al-Anon. Neuere Studien zeigen die positive Wirkung, die vom Schritt in die Selbsthilfe ausgeht. Basisdemokratische Strukturen, gleichberechtigtes Einbinden der Mitglieder und Mitwirkungsmöglichkeiten auf mehreren Ebenen stärken, so Schild, das Selbstwertgefühl und wirken Depressionen entgegen.

In einem ausführlichen Kapitel diskutiert Schild verschiedene Modelle professioneller Hilfe, wobei sie die Kurzzeittherapie von Copello als besonders erfolgversprechend herausstellt: In fünf aufeinander folgenden Schritten werden dabei Stressfaktoren und Schwierigkeiten ausgemacht, einschlägige Informationen über Suchterkrankungen vermittelt, Handlungsmöglichkeiten diskutiert, interfamiliäre Kommunikation angeregt, und es wird gezeigt, wie weiterführende Hilfen gefunden werden können. MW

Partnerschaft und Alkohol
Schild, Bea (Hrsg.) & Wiesbeck, Gerhard A.




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