Der Soziologe Dr. Bernd Werse (Universität Frankfurt/M.) kommentiert in seinem Beitrag zum Bericht das Datenmaterial der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung: "Nur jede_r 16te junge Erwachsene und jeder 45ste Jugendliche soll im zurückliegenden Monat gekifft haben? Diese verdächtig niedrigen Zahlen sind mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Erhebungsmethode zurückzuführen: Die Daten basieren nämlich ausschließlich auf einer telefonischen Befragung. Im Klartext: ein_e Interviewer_in meldet sich per Festnetz oder Handy bei einem jungen Menschen (meist bei den Eltern wohnhaft) und fragt z.B., ob diese_r in den letzten 30 Tagen gekifft hat. Es braucht nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, dass nicht wenige hier die Unwahrheit sagen - oder erst gar nicht antworten." Wer gibt freiwillig den strafbaren Drogenbesitz zu?
Die Soziologin und Kriminologin Svea Steckhan (Polizeiakademie in Hamburg) registriert, dass große Teile der Polizei die Pflicht zur Strafverfolgung von Drogenbesitz für kontraproduktiv halten - eine oft sinnlose Vergeudung polizeilicher Ressourcen. Daher "übersieht" der eine oder Beamte u.U. das Delikt. Kollektives Übersehen kann allerdings auch organisiert werden, wenn eine interne Anweisung gegeben wird, die Wahrnehmung nur auf bestimmte Bereiche zu fokussieren bzw. im Sinne des Ressourcenmanagements Prioritäten zu setzen. In Polizeikreisen beobachtet Svea Steckhan den Wunsch nach einer Gesetzesänderung: Die Strafverfolgungspflicht sollte durch eine Strafverfolgungsmöglichkeit ersetzt werden; das heißt: Der Besitz illegaler Drogen dürfe nicht mehr als Straftat, sondern nur als Ordnungswidrigkeit eingestuft werden. Die Beamten sollen also je nach Situation entscheiden können, ob und wie sie einschreiten.
3. Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2016
akzept e.V., Deutsche AIDS-Hilfe, JES e.V. (Hrsg.)