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Alternativer Drogen- und Suchtbericht: BtMG grundlegend erneuern

Das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) ist dringend reformbedürftig. Es verfehlt nicht nur sein Ziel, Drogenkonsum und dessen schädliche Folgen für Individuen und Gesellschaft zu verhindern, sondern es bringt diese Schäden selbst mit hervor. Prävention, Schadensbegrenzung und Therapie behindert das BtMG massiv und kostet damit viele Menschen ihre Gesundheit, manche ihr Leben. Darauf weisen zivilgesellschaftliche Organisationen und Fachleute aus Wissenschaft und Drogenhilfe im 2. Alternativen Drogen- und Suchtbericht hin, der heute in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.

Das BtMG stammt noch aus Zeiten, in denen Strafe und Repression als wirksame Mittel gegen Sucht betrachtet wurden. Mittlerweile ist erwiesen: Drogenverbote verhindern Drogenkonsum nicht - Handel und Konsum finden lediglich dort statt, wo man kaum darauf einwirken kann. Die Politik der Strafverfolgung und Repression hat massive schädliche Auswirkungen:

  • Menschen, die Drogen konsumieren, werden in die Illegalität gedrängt, wo sie für Hilfsangebote schwer erreichbar sind.
  • Organisierte Kriminalität und horrende Schwarzmarktpreise ziehen Beschaffungskriminalität nach sich.
  • In Haft ist die Wahrscheinlichkeit, sich mit HIV oder HCV zu infizieren um ein Vielfaches höher, unter anderem weil keine sauberen Spritzen zur Verfügung stehen.
  • Die Qualität illegaler Substanzen ist nicht kontrollierbar, oft sind gefährliche Strecksubstanzen beigemischt.
  • Die aufwändige Strafverfolgung von Konsumierenden verschwendet enorme Summen Steuergelder, die man stattdessen wirkungsvoll einsetzen könnte.
  • Drogenhandel und -konsum erfolgen teilweise auf der Straße - statt in einem sicheren und kontrollierten Umfeld.

Vom Verbot zur Regulierung

"Wir brauchen jetzt den Schritt vom erfolglosen Verbot zu einer wirkungsvollen Regulierung", sagt Prof. Dr. Heino Stöver, Vorstandsvorsitzender von akzept e.V. und Direktor des Instituts für Suchtforschung der Frankfurt University of Applied Sciences. "Wir wissen längst, welche Maßnahmen wirken. Mit einer staatlich kontrollierten Abgabe von Drogen können wir viele Probleme lösen. Jugend- und Verbraucherschutz würden damit massiv gestärkt."

"Das BtMG schadet, statt zu nützen. Die Kollateralschäden der Prohibition sind mittlerweile unübersehbar", sagt Dr. Gerrit Kamphausen, Soziologe und Kriminologe an der Universität Frankfurt. "Es geht jetzt darum, die Scheuklappen abzulegen und wissenschaftliche Erkenntnisse in eine wirkungsvolle Drogenpolitik zu übersetzen."

Strafe macht schwach - Hilfe hilft allen

Silke Klumb, Geschäftsführerin der Deutschen AIDS-Hilfe erläutert: "30 Jahre HIV-Prävention zeigen: Nicht Zwang und Strafe führen zu gesundheitsbewusstem Verhalten, sondern Unterstützung und Respekt. Die Zahl der HIV-Infektionen bei Drogenkonsumenten ist enorm zurückgegangen. Doch noch immer nimmt eine restriktive Drogenpolitik sogar vermeidbare Todesfälle in Kauf. Dabei gibt es gut erforschte Alternativen ohne Risiken und Nebenwirkungen."

Marco Jesse vom Netzwerk JES - Junkies, Ehemalige und Substituierte - erklärt: "Verfolgung hat noch niemandem geholfen. Sie treibt Menschen nur ins Elend und in die Kriminalität. Wir brauchen individuelle, suchtakzeptierende Hilfsangebote, die Drogen gebrauchende Menschen nicht schwach, sondern stark machen. Gute Drogenpolitik nützt allen!"

Und Maximilian Plenert, ADHS-Patient, sagt: "Seit vielen Jahren kämpfen Patienten dafür, ein wirksames Medikament einnehmen zu dürfen - ohne sich damit zum Straftäter zu machen. Nur 400 Menschen in Deutschland dürfen, wie ich, ihre Präparate legal erwerben. Es ist Zeit, ideologische Barrieren endlich fallen zu lassen und Cannabisprodukte als Medizin anzuerkennen."

Neuer Konsens: Prohibition und Abstinenzgebot sind gescheitert

Dass das BtMG auf den Prüfstand gehört, ist in Fachkreisen mittlerweile Konsens. "Die strafrechtliche Drogenprohibition ist gescheitert, sozialschädlich und unökonomisch" - diesen Satz hat in einer Resolution bereits mehr als die Hälfte der deutschen Strafrechtsprofessoren unterschrieben. Sogar der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU, Joachim Pfeiffer, tritt mittlerweile für eine staatlich regulierte Freigabe von Cannabis ein.

Wo einst Abstinenz das oberste Ziel war, steht in einer zeitgemäßen Drogenpolitik das Ziel an erster Stelle, das Leben der Abhängigen und ihre Gesundheit zu schützen (Prinzip der Schadensminimierung). Dafür gilt es zu akzeptieren, dass manche Menschen Drogen konsumieren. Entsprechende Ergänzungen des Betäubungsmittelgesetzes sind bislang nur Stückwerk, weil Strafe das leitende Prinzip geblieben ist.

Was jetzt geschehen muss

Das BtMG muss dringend nach wissenschaftlichen Kriterien neu bewertet werden. Folgende Maßnahmen sollten durch Bund und Länder so schnell wie möglich umgesetzt werden:

  • Staatlich kontrollierte Produktion und Distribution von Cannabis-Produkten
  • Massiver Ausbau des Zugangs zu Diamorphin (pharmazeutisch erzeugtem Heroin) übers Medizinsystem, wie die Schweiz es längst erfolgreich vormacht
  • Festlegung bundesweit einheitlicher Drogenmengen zum Eigenbedarf, deren Besitz straffrei ist (wie vom Bundesverfassungsgericht bereits 1994 gefordert) - Straffreiheit hat sich z.B. in Portugal bereits bewährt.
  • Drug-Checking-Angebote zur Untersuchung der Zusammensetzung von Drogen
  • Zugang zu Konsumutensilien (vor allem sterile Spritzen und Zubehör) in Haft - ein Modellversuch und internationale Erfahrungen sprechen dafür!
  • Versorgungssicherheit bei der Substitutionstherapie durch Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Substitutionsärzte - damit die Versorgungssicherheit dieser Standardtherapie gewährleistet ist.
  • Bundesweite Verfügbarkeit von Drogenkonsumräumen (bisher gibt es sie nur in sechs Bundesländern) - sie retten Leben und schützen die Gesundheit.
  • Substitutionsbehandlungen müssen im Modell Therapie statt Strafe bundesweit zuverlässig als Therapie anerkannt werden.

Der Alternative Drogen- und Suchtbericht wird seit 2014 jährlich herausgegeben von akzept e.V. - Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik, der Deutschen AIDS- Hilfe und dem Selbsthilfe-Netzwerk JES Bundesverband. Er behandelt ein breites Themenspektrum von Alkohol und Tabak bis Heroin und soll helfen, Irrtümer in der Drogenpolitik zu korrigieren und Erkenntnisse der Sucht- und Präventionsforschung in dauerhaft erfolgreiche Maßnahmen zu übersetzen.

Digitale Pressemappe: www.aidshilfe.de (ab 18.5., 11 Uhr)
 

2. Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2015
akzept e.V.; Deutsche AIDS-Hilfe; JES e.V. (Hrsg.)




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