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Alkoholismus: asozial in einer asozialen Gesellschaft

Alkoholkrankheit dient einigen Literaten exzessiv als Stimulans und als Thema - mit Texten, die präziser und informativer kein Diagnostiker formuliert. Nur wenige Literaten verstehen sich jedoch darauf, Trinker authentisch in einem dialektischen Kontext zu inszenieren, ohne selbst zu trinken - wie Bert Brecht. Und die wenigsten Sucht-kompetenten Schriftsteller können dem hochprozentigen Exzess Humor abgewinnen. Dr. Hugo von Keyserlingk hat Kostproben der diversen Genres zu einem ebenso informativen wie unterhaltsamen Buch zusammengestellt und kommentiert: "Liebe, Leben, Alkohol - Suchtkrankheiten im Spiegel deutscher Literatur".

Die Aufmerksamkeit des Detmolder Autors Georg Weerth konzentrierte sich in einer Erzählung auf ein häufiges Alkoholikersymptom: das Rhinophym, eine Epidermis- und Talgdrüsenhyperplasie, die zu einer knollenartigen Verdickung der Nase führt. Graf Keyserlingk zitiert Weerth:
 
"Der Buchhalter Lenz besaß eine rote Nase. Dies ist sehr wichtig. Er besaß nicht die Nase Bardolphs, jenes flammende Meteor, bei dessen Strahl der gute Falstaff stets an das Feuer eines schlimmen Jenseits denken musste ... Die rote Nase, welche Herr Lenz von Gottes und Rechts wegen mitten im Gesicht trug, war das kostspieligste Kleinod seines Lebens. Sie war das Resultat eines langjährigen, ernstlichen Trinkens, das Produkt eines sorgfältig gelöschten Durstes, die Konsequenz einer nie ruhenden Niersteiner und Piesporter vertilgenden Leidenschaft. Sie hatte nicht die mystische Couleur der Nase Sr. großbritannischen Lordschaft - nein, mit einem stillen, wehmütigen Abendrot beschien sie das feierliche Antlitz des dürr aufgeschossenen Besitzers; man sah, der Herr Lenz hatte aus Wehmut getrunken ..."
 
Den großen sozialpsychologischen Horizont nimmt Bert Brecht in den Blick, als er sein Jugenddrama Baal schreibt: "Baal ist ein dichtender Bürgerschreck, der sich mit seinen alkoholischen und sexuellen Exzessen zu Tode richtet. Wüst und anarchisch geht es in dem Drama zu. Nur der Augenblick gilt, sinnlos mündet alles in Destruktion, Verachtung und Tod. Selbsttäuschung, Selbstironie, Banales und Poetisches verschlingen sich," schreibt Keyserlingk. Brecht selbst kommentiert Baal: Hier stellt "sich ein Ich gegen die Zumutungen und Entmutigungen einer Welt, die nur eine ausbeutbare Produktivität anerkennt. Es ist nicht zu sagen, wie Baal sich zu einer Verwertung seiner Talente stellen würde: er wehrt sich gegen ihre Verwurstung. Er ist asozial, aber in einer asozialen Gesellschaft ..."

Liebe Leben Alkohol – Suchtkrankheiten im Spiegel deutscher Literatur
Keyserlingk, Hugo




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