"Mit dem Rückzug aus methodologischen Kontroversen geht eine ausgeprägte Tendenz zur Statistisierung einher. In den Vordergrund der Lehre treten Formeln und Rechenverfahren, die als zeitlose Wege zur Wahrheit missverstanden werden. Die Verfahren haben scheinbar keinen historischen Ursprung und keinerlei philosophischen Gehalt. Für ihre Prüfungen lernen Studierende verschiedenste Formeln auswendig und sind in der Regel froh, wenn sie die Zeichenketten dann fehlerfrei rezitieren oder niederschreiben können.
Das kreative, bisweilen spielerische Moment des Nachdenkens, das ebenso wie eine logische Strenge für die Methodenlehre wesentlich ist, bleibt dabei außen vor. Forschungsmethoden wirken ätherisch und ungreifbar. Sie scheinen über jeden Zweifel erhaben, sind selbst - im Gegensatz zu Grundsätzen der Logik - vermeintlich unstrittig und werden nicht als Ergebnis menschlichen Nachdenkens gehandelt," schreibt die Psychologin und Philosophin. Sie erinnert an die unterschiedlichen, meist vergessenen philosophischen Hintergründe verschiedener psychologischer Methoden.
In ihrer Monografie identifiziert Julia von Thienen "gängige philosophische Positionen als jeweilige Entscheidungsgrundlage für die Akzeptanz oder Ablehnung einzelner Methoden. Dort, wo einzelne (Sub-)Disziplinen zu verschiedenen Urteilen kommen, arbeiten sie mit unterschiedlichen philosophischen Ausgangsannahmen." Damit sind Brüche in der Methodik wie in den Befunden der Psychologie vorprogrammiert, die Disziplin verweigert ein vollständig kohärentes Wissensgebäude.
